Thomas Rahlf
Die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung ist der Versuch, die Leistung der gesamten Volkswirtschaft eines Landes in einer systematischen Art zu messen und in einem einheitlichen Wertsystem auszudrücken. Als grundlegende Statistik bildet sie seit dem Beginn der Bundesrepublik die wesentliche Grundlage für wirtschaftspolitische Entscheidungen. Im Rahmen der Wirtschaftsgeschichte werden die Reihen auch für die DDR und das Deutsche Reich bis weit zurück in das 19. Jahrhundert rekonstruiert.
Die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (VGR) gehört sicher zu den kompliziertesten Statistiken.1 Anders als bei vielen anderen Statistiken, bei denen einfach „gezählt“ wird (Geburten, Obstbäume, abgegebene Stimmen usw.) müssen hier umfangreiche und komplexe Kontensysteme gebildet und in aufsummierbare Mengen- und Werteinheiten umgerechnet werden, um am Ende zu der „einen Zahl“2, dem Nationaloder Sozialprodukt zu gelangen, das, so die Theorie, die Leistung einer Volkswirtschaft abbildet. Dieser Versuch ist mittlerweile selbst Gegenstand historischer Untersuchungen geworden, seitens der Fachwissenschaft3 wie auch der amtlichen Statistik,4 wobei allerdings die organisatorischen Entwicklungen und Diskurse im Vordergrund standen und weniger die Zahlen an sich. Eine systematische Aufarbeitung der VGR als historische Statistik liegt bislang nicht vor. Im Rahmen ihrer aktuellen Systematik kann sie unter Berücksichtigung einiger Einschränkungen seit 1950 dargestellt werden. Seit diesem Zeitpunkt liefert die amtliche Statistik hierfür offizielle Daten für die Bundesrepublik. Für die DDR ebenso wie für die Zeit des Deutschen Reiches müssen entsprechende Daten rekonstruiert werden.
Begriffe und Definitionen
Was ist die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung nun genau? In ihrer aktuellen Form wird die in einem Sozialprodukt ausgedrückte Größe von drei Seiten her betrachtet: einer Entstehungs-, einer Verwendungs- und einer Verteilungsseite.5 Auf der Entstehungsseite wird berechnet, wie das Sozialprodukt produziert wurde. Dabei werden mehrere Sektoren von der Land-, Forstwirtschaft und Fischerei bis hin zu öffentlichen und privaten Dienstleistern unterschieden. Rechnet man zu dieser Bruttowertschöpfung noch die Gütersteuern hinzu und zieht die Gütersubventionen ab, so erhält man das Bruttoinlandsprodukt. Von der Verwendungsseite her erhält man das Bruttoinlandsprodukt als Summe der Konsumausgaben der privaten Haushalte und privaten Organisationen ohne Erwerbszweck, der Konsumausgaben des Staates, der Investitionen und dem Außenbeitrag (den Exporten abzüglich der Importe). Von der Verteilungsseite her gesehen setzt sich das Bruttoinlandsprodukt zusammen aus dem Volkseinkommen, das wiederum aus den beiden Komponenten Arbeitnehmerentgelt sowie Unternehmens- und Vermögenseinkommen besteht, den Produktions- und Importabgaben abzüglich der Subventionen, den Abschreibungen und schließlich dem Saldo der Primäreinkommen aus der übrigen Welt. Ohne diese letzte Komponente bezeichnet man das Bruttoinlandsprodukt als Bruttosozialprodukt (bzw. Bruttonationaleinkommen), ohne Abschreibungen als Nettosozialprodukt (bzw. Nettonationaleinkommen) zu Marktpreisen. Das Volkseinkommen schließlich wird dann als Nettosozialprodukt (bzw. Nettonationaleinkommen) zu Faktorkosten bezeichnet. Die Übersicht auf der folgenden Seite verdeutlicht die genannten Komponenten schematisch.
Die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung als amtliche Statistik
Das heutige System der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung hat eine lange Vorgeschichte. In Deutschland beginnt sie kurz nach dem Ende des Ersten Weltkriegs. Deutschland musste Reparationszahlungen als Teil des „Dawes-Plans“ leisten, deren Höhe sich nach einem sogenannten Prosperitätsindex richten sollte. Es mag nicht verwundern, dass dessen Konstruktion höchst umstritten war. Das Statistische Reichsamt suchte daher nach alternativen Berechnungen. 1926 wurde ein Enquete-Ausschuss ins Leben gerufen, dessen Aufgabe es sein sollte, die Höhe des Nationaleinkommens der Vorkriegszeit zu ermitteln. 1932 konnte der Ausschuss ein erstes Ergebnis vorlegen: eine Schätzung des Nationaleinkommens von 1891 bis 1913 und von 1925 bis 1931 auf Basis der Länder Preußen, Sachsen, Baden, Württemberg, Bayern, Hessen und Hamburg. Eine Berechnung nach der Entstehungs- oder Verwendungsseite war mit dem vorhandenen Material nicht möglich. Lediglich eine Berechnung nach der Einkommens-/Verteilungsseite konnte durchgeführt werden, indem man Einkommenssteuerstatistiken zugrunde legte.6
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde erstmals 1957 eine konsistente Entstehungs-, Verwendungs- und Verteilungsrechnung eingeführt, drei Jahre später dann zum ersten Mal ein Gesamtrechnungssystem veröffentlicht. Seither wurde das System kontinuierlich ausgebaut, verfeinert, konsolidiert und immer wieder im Rahmen von Revisionen angepasst. Seit den 1990er Jahren orientieren sich die Änderungen ganz wesentlich an den Bedürfnissen einer internationalen Standardisierung.7 Die genannten Revisionen erschweren zwar einerseits eine zeitliche Vergleichbarkeit der VGR, andererseits sind sie notwendig, wenn zum Beispiel mehrjährig durchgeführte Großzählungen zwischenzeitlich zur Verfügung stehen, weil sich die Methoden der Datenerhebung verändert oder verbessert haben, oder weil sich in dem großen und komplexen System der VGR konzeptionelle Veränderungen ergeben haben, die eine Umorganisation einzelner oder eine Hinzunahme neuer Bestandteile erforderlich machen. Im Rahmen solcher Revisionen werden mehr oder weniger regelmäßig auch umfangreiche Korrekturen an den zurückliegenden Jahren und Jahrzehnten vorgenommen. Zwischen 1953 und 2019 hat es in Deutschland allein 16 solche als Generalrevisionen bezeichnete Überarbeitungen gegeben,8 die unter Überschriften wie „Warum Sie morgen früh um 1 000 Euro reicher sind“ oder „Statistisch ist Deutschland jetzt um 42 Milliarden Euro ärmer“ auch Eingang in die Tagespresse fanden.9
Grundzüge der Entwicklung
Eine langfristige Betrachtung seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ist aufgrund der zahlreichen Konzeptänderungen und Datenprobleme nur eingeschränkt möglich. Das gilt selbst für die „eine Zahl“: Bis Anfang der 1990er Jahre wurde in Deutschland das Bruttosozialprodukt als die zentrale Größe der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung angesehen, dann wurde es, so wie international seither üblich, durch das Bruttoinlandsprodukt abgelöst. Weder das eine noch das andere liegt für die vergangenen 170 Jahre durchgehend vor. Das heute vorherrschende Bruttoinlandsprodukt kann zurück bis 1925 berechnet werden, für die Zeit von 1901 bis 1913 in Ermangelung von Angaben zum Saldo der Primäreinkommen aus der übrigen Welt nur das Bruttosozialprodukt. Da für das 19. Jahrhundert weder direkte Angaben noch belastbare Schätzungen über Abschreibungen existieren, muss für diese Periode ersatzweise das Nettosozialprodukt zu Marktpreisen herangezogen werden, für das Schätzungen von 1851 bis 1913 vorhanden sind. Allerdings kann das Nettosozialprodukt auch nicht durchgehend bis zur Gegenwart als Maßstab verwendet werden, da sich der Anteil der Abschreibungen im Lauf der vergangenen Jahrzehnte erheblich verändert hat (siehe unten).
Trotz dieser Einschränkungen lassen sich langfristige Tendenzen festhalten. Um Gebietsveränderungen, Bevölkerungswachstum sowie Geldentwertungen auszuschließen, wird dabei der „reale“, also inflationsbzw. preisbereinigte Wert pro Kopf verwendet. Das Inlands-/ Sozialprodukt pro Kopf nach heutigem Stand der Forschung und der amtlichen Statistik:
- hat sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – mit großen Unsicherheitsfaktoren – ungefähr verdoppelt,
- befand sich 1950 bereits wieder auf dem Niveau von 1936,
- hat sich in der Bundesrepublik in den rund 40 Jahren von 1950 bis 1989 etwas mehr als vervierfacht,
- in der DDR im gleichen Zeitraum von knapp 50 auf etwa 55 Prozent des Niveaus der Bundesrepublik erhöht,
- ist durch die Wiedervereinigung um über 10 Prozent gesunken,
- in Gesamtdeutschland in den 30 Jahren nach der Wiedervereinigung um 40 Prozent und
- vom Beginn bis zum Ende des 20. Jahrhunderts etwa um das Sechsfache gestiegen.
Diese Entwicklung geschah vor dem Hintergrund einer insgesamt deutlich gesunkenen Arbeitszeit, steigender Teilzeitanteile und eines erheblich gesunkenen Anteils von Personen im erwerbsfähigen Alter (siehe auch Kapitel 2 und 10). Dahinter verbergen sich auch konjunkturelle Auf- und Abschwünge, die bei einem Blick auf die jährlichen Wachstumsraten sichtbar werden. Für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts ergaben sich bei einer durchschnittlichen Wachstumsrate von 1,6 Prozent Boomphasen, in denen das Wachstum mehrere Jahre lang erheblich über diesem Durchschnitt lag, aber auch ein gutes Dutzend „Rezessionsjahre“, in denen es deutlich negativ war. Hierbei muss bedacht werden, dass große Anteile der Produktion erst seit der Mitte des 19. Jahrhunderts „marktgängig“ wurden, also vom nicht messbaren hauswirtschaftlichen Bereich zunehmend in den messbaren gewerblichen Bereich wechselten. Diese Transformation, die statistisch praktisch nicht gemessen werden kann, führt zu einer gewissen Überschätzung des Wachstums in dieser Zeit, weil die frühe Phase hinsichtlich ihrer in einem zu geringen Anteil in offiziellen Statistiken gemessenen Leistung unterschätzt wird. Im Lauf der Industrialisierung verliert der Agrarsektor allmählich seine quantitative Bedeutung, die Dynamik der wirtschaftlichen Auf- und Abschwünge wird zunehmend von Agarkrisen und
-konjunkturen unabhängig.10 Das ab den 1880er Jahren raschere Wachstum, das größenmäßig dem der 1980er Jahre entsprach, führte auch zu einer spürbaren Verbesserung des Lebensstandards, allerdings einhergehend mit einer extremen Einkommens- und Vermögensungleichheit (siehe Kapitel 23).11 ► Tab 2, Abb 2
Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts war dagegen von außerordentlich starken Ausschlägen geprägt. Die mit dem Ersten Weltkrieg einsetzenden mehrjährigen starken Rückgänge wandelten sich 1920 in ebenso starke Zuwächse, die im Inflationsjahr 1923 mit dem stärksten jemals gemessenen Einbruch jäh endeten. Einer weiteren Wachstumsphase folgte die heftigste Krise der vergangenen 170 Jahre von 1929 bis 1932. In diesen Jahren ging das Sozialprodukt insgesamt um etwa 30 Prozent zurück, stieg aber in den Folgejahren umso stärker wieder an. Bei gleicher durchschnittlicher Wachstumsrate wie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ergab sich hier also eine völlig andere Dynamik.
Die alte Bundesrepublik, deren Wirtschaft im Durchschnitt ihrer vier Jahrzehnte um rund vier Prozent pro Jahr gewachsen ist, erlebte nach dem „Wirtschaftswunder“ der 1950er Jahre lediglich vier – vergleichsweise geringfügige – Rezessionsjahre. Während in den 1950er Jahren die jährlichen Wachstumsraten im Durchschnitt über 7 Prozent betrugen, sanken sie in der folgenden Dekade, der Zeit der Vollbeschäftigung, auf etwa 3,5 Prozent, in den 1970er Jahren, dem Jahrzehnt der Ölkrise und erster struktureller Probleme, auf unter 3 Prozent und in den 1980er Jahren auf unter 1,5 Prozent. Die einzelnen Faktoren des Wachstums können hier nur angerissen werden: Ein hohes Erwerbstätigenpotenzial, hoher Kapitalstock, starke Nachfrage aus dem In- und Ausland sowie eine erheblich steigende Arbeitsproduktivität waren die wesentlichen, sich teilweise gegenseitig begünstigenden Faktoren, die zum „Boom“ führten.
Eine erste Delle erhielt die Entwicklung 1967 mit einem erstmals seit dem Krieg stagnierenden Sozialprodukt, das Anlass für das bis heute gültige „Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft“ war. Das Gesetz verpflichtete die öffentlichen Haushalte zu den vier Zielen Preisniveaustabilität, hoher Beschäftigungsstand, außenwirtschaftliches Gleichgewicht und stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum. Mit Blick auf die Statistik kann man sagen, dass diese Ziele in den 1960er Jahren mit Ausnahme des Jahres der Einführung des Gesetzes durchaus erfüllt waren. Schon 1975 gab es jedoch erstmalig ein nominal wie preisbereinigt sinkendes Sozialprodukt; gleichzeitig kletterten die Preise und Arbeitslosenzahlen in bis dahin seit dem Krieg ungekannte Höhen. 1982 kam es zu einer weiteren Rezession, wie 1975 ausgelöst durch einen „Ölpreisschock“.
Zehn Jahre später, mit der Wiedervereinigung, wurden 16 Millionen Deutsche in die Bundesrepublik integriert, deren Bruttoinlandsprodukt pro Kopf optimistisch geschätzt die Hälfte des westdeutschen betrug. Die mit der Wiedervereinigung und Reintegration Ostdeutschlands verbundene Herausforderung hinterlässt in den VGR-Statistiken langjährige Spuren. Erst zum Beginn des 21. Jahrhunderts überstieg das reale Bruttoinlandsprodukt pro Kopf wieder den Wert, den es im Jahr vor der Wiedervereinigung in der Bundesrepublik erreicht hatte – wobei es aktuell in den neuen Bundesländern immer noch erst bei etwa 75 Prozent des Westwertes liegt. Allerdings war in dieser Zeit auch die Finanzkrise von 2008 zu verarbeiten, die mit einem über 5-prozentigen Rückgang des Sozialprodukts in der Nachkriegsgeschichte bis dahin einmalig war. Das durchschnittliche Wachstum des wiedervereinigten Deutschlands bewegt sich wieder auf dem Niveau von 1850 bis 1950, wobei der Rückgang der bislang stärksten Krisenjahre 2009 (Finanzkrise) und 2020 (Pandemie) mit 5,4 und 4,8 Prozent im langfristigen Vergleich eher moderat ausfiel.
Im Folgenden soll der Blick auf die einzelnen Seiten der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung gerichtet werden, wobei bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts Lücken in Kauf genommen und zum Teil große Unsicherheitsfaktoren bedacht werden müssen.
Entstehung
Bei der Wertschöpfung fällt ein grundlegender struktureller Wandel der Wirtschaftssektoren auf. Am deutlichsten ist der Rückgang des landwirtschaftlichen Sektors. Sein Anteil, der Mitte des 19. Jahrhunderts sicher die Hälfte der Wertschöpfung ausmachte, betrug nach dem Zweiten Weltkrieg nur noch etwa 10 Prozent und sank kontinuierlich bis Anfang der 1990er Jahre auf 1 Prozent. Auf diesem Niveau hält er sich seither. Nicht ganz so eindeutig lassen sich die Anteile der anderen drei Sektoren beschreiben. Hier zeigen sich starke Unterschiede in der realen gegenüber der nominalen Entwicklung. Nominal wie preisbereinigt überholte der Dienstleistungs- den produzierenden Sektor Anfang der 1980er Jahre, hat seither den größten Anteil an der Wertschöpfung und macht seit Mitte der 1990er Jahre über die Hälfte der gesamten Wertschöpfung aus. Das produzierende Gewerbe blieb bis Anfang der 1970er Jahre auf einem hohen Niveau. Zwar war schon vorher ein hohes Versorgungsniveau der Bevölkerung erreicht, doch zeigt sich hier bereits die beginnende Exportausrichtung der Bundesrepublik.
Die preisbereinigte Entwicklung zwischen 1950 und 1980 verläuft anders: Nominal hatten sowohl der Dienstleistungs- als auch der Handelssektor einen Anteil von 20 Prozent, während das produzierende Gewerbe die Hälfte der Wertschöpfung ausmachte.12 In Preisen von 1991 lagen dagegen 1950 der Dienstleistungsbereich und das produzierende Gewerbe gleichauf mit einem Anteil von jeweils etwa 40 Prozent. Bis etwa 1970 sank dann jedoch der Anteil des Dienstleistungsbereiches zunächst, während der Anteil des Handels seit 1950 kontinuierlich steigt, aber nominal rückläufig ist. Der Grund liegt in der unterschiedlichen Preisentwicklung der einzelnen Sektoren: Von dem insbesondere durch den technischen Fortschritt bewirkten Sinken der Produktionskosten konnte der Dienstleistungssektor weit weniger profitieren als die produzierenden Bereiche. Im Vergleich stiegen also die Dienstleistungspreise überproportional. Seit der Jahrtausendwende verlaufen die Anteile der einzelnen Sektoren weitgehend stabil. Hier nicht berücksichtigt ist die damit einhergehende und in Teilen noch gravierendere Verschiebung der Arbeitskräfte. So ist etwa der Anteil der Beschäftigten im produzierenden Gewerbe deutlich stärker zurückgegangen als der entsprechende Wertschöpfungsanteil (siehe Kapitel 10, Abbildung 4). Damit zeigen sich die ebenso dynamische wie unterschiedliche Entwicklung der Arbeitsproduktivität und die Auswirkung des technischen Fortschritts.
Verwendung
Im Vergleich zur Wertschöpfung fallen bei der Verwendung die strukturellen Verschiebungen geringer aus; für einzelne Bereiche zeigt sich ein grundlegender Wandel aber auch hier. Der Anteil des privaten Verbrauchs betrug in den 1920er Jahren rund 7 Prozent, ein Anteil, den man vermutlich auch für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts sowie das beginnende 20. Jahrhundert annehmen kann. Auch während der vergangenen 70 Jahre bildete der private Verbrauch den mit Abstand größten Anteil am Sozialprodukt, wobei er im Lauf der Jahrzehnte von über 60 Prozent auf zunächst etwa 56 Prozent und seit 2010 nochmals auf nunmehr etwa 52 Prozent sank. Der Staatsverbrauch machte über den gesamten Zeitraum einen weitaus geringeren Anteil aus.
In den 1930er Jahren verdoppelte sich dieser innerhalb weniger Jahre bis 1938 von etwa 10 auf 20 Prozent; nach zwischenzeitlichem Absinken wiederholte sich diese Entwicklung in der Bundesrepublik zwischen 1950 und 1975; seither blieb der Anteil konstant auf diesem Niveau. Andere Größenordnungen zeigt auch hier die preisbereinigte Seite: Hier stieg der private Verbrauch von 50 auf 55 Prozent, während der Anteil des Staates bereits ab 1950 sich auf dem Niveau von 20 Prozent bewegte und damit schon ab den ersten Jahren der Bundesrepublik über den Anteilen der Ein- und Ausfuhr lag. Der Grund liegt wiederum in einer Veränderung der Preisstruktur: Während der ersten drei Jahrzehnte der Bundesrepublik stiegen die Preise im Bereich des privaten Verbrauchs jährlich im Durchschnitt um 3,4 Prozent, die des – im Wesentlichen durch die Löhne und Gehälter der Staatsbediensteten festgelegten – Staatsverbrauchs dagegen um 5,7 Prozent.13 ► Tab 4, Abb 4
Hinsichtlich des Außenbeitrags stellte sich schon im 19. Jahrhundert ein erster
„Globalisierungsschock“ ein.14 So erlebten die Exporte wie auch die Importe ab Mitte der 1860er Jahre innerhalb weniger Jahre einen vorher nicht gekannten Schub. Der Saldo beider Größen blieb jedoch über viele Jahre weitgehend konstant. Nach dem Zweiten Weltkrieg stiegen sowohl Ein- als auch Ausfuhr kontinuierlich an, nach einem Einbruch Anfang der 1990er Jahre anschließend umso rasanter, sodass sowohl der Wert des Imports wie auch des Exports mittlerweile jeweils über 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmacht.15 Daran wird die außerordentlich starke Außenhandelsabhängigkeit der deutschen Wirtschaft deutlich (siehe Kapitel 20).
Die Investitionen schließlich, über die wir für das 19. Jahrhundert nicht allzu viel wissen, lagen bis Anfang der 1970er Jahre im zeitlichen Vergleich auf recht hohem Niveau. Hier zeigen sich die in großem Ausmaß getätigten Bildungs- und Infrastrukturinvestitionen, für die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs noch lange Bedarf bestand. Im weiteren Verlauf sieht man Rückgänge, in den 1980er Jahren lange Jahre des Tiefststands, zur Wiedervereinigung und für die kommenden zehn Jahre wiederum ein deutlich höheres Niveau und schließlich seit Anfang des 21. Jahrhunderts ein Rückfall auf das niedrige Niveau der 1980er Jahre. Aber auch hier machen sich einmal mehr die Tücken der Statistik bemerkbar. Die Zahlen vor 1991 berücksichtigen nicht die Umstellung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen im Rahmen der Revision der ESVG 2010, nach der Ausgaben für Forschung und Entwicklung sowie für militärische Waffensysteme noch dem Staatsverbrauch zugerechnet wurden und nicht wie aktuell den Investitionen.16 Nach dieser neuen Definition dürften die Investitionen vor 1991 also höher gewesen sein als hier ausgewiesen, bzw. sind sie in der jüngsten Vergangenheit im Vergleich zu den zurückliegenden Jahrzehnten niedriger als je zuvor.17
Verteilung
Aufgrund der vorhandenen Daten lassen sich auf der Verteilungsseite a) ab 1851 Anteile des Arbeitnehmerentgelts, der Unternehmensund Vermögenseinkommen sowie der Produktionsund Importabgaben abzüglich der Subventionen am Nettosozialprodukt angeben, b) ab 1901 die Anteile dieser drei Größen sowie der Abschreibungen am Bruttosozialprodukt und c) ab 1925 die Anteile dieser vier Größen sowie dem Saldo der Primäreinkommen am Bruttoinlandsprodukt. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts betrug der Anteil der Bruttoeinkommen aus unselbstständiger Arbeit am Nettosozialprodukt durchgehend zwischen 60 und knapp 70 Prozent, der entsprechende Anteil aus Unternehmertätigkeit und Vermögen zwischen 30 und 40 Prozent. Zwischen 1950 und 1980 haben die Anteile der Bruttoeinkommen aus unselbstständiger Arbeit deutlich zu- und die entsprechenden Anteile aus Unternehmertätigkeit und Vermögen ebenso deutlich abgenommen. Seither blieben ihre Anteile weitgehend konstant bis etwa 2004, dann sank der Anteil des Einkommens aus unselbstständiger Arbeit anschließend bis 2007 auf das Niveau von 1970 und steigt seither wieder deutlich an. Der Einbruch 2004, der mit einem entsprechenden Anstieg auf der Unternehmenseinkommens- und Vermögensseite einherging, folgte auf eine Zeit, in der das Bruttoinlandsprodukt von Deutschland die stärkste Stagnation in der Nachkriegszeit aufwies (2001– 2005).18 Insgesamt gesehen kann Deutschland im internationalen Vergleich eine vergleichsweise stabile Lohnquote vorweisen – was allerdings nichts über die Verteilung der Einkommen aussagt (siehe Kapitel 23). ► Tab 5, Abb 5
Die Abschreibungen, deren Höhe im 19. Jahrhundert unbekannt ist, betrugen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts etwa 7 bis 8 Prozent des Bruttosozialprodukts, stiegen allerdings nach dem Zweiten Weltkrieg kontinuierlich an und liegen mittlerweile bei fast 20 Prozent. Aktuell ist der Unterschied zwischen Brutto- und Nettosozialprodukt damit erheblich. Der Abgabenanteil blieb auf niedrigem Niveau und stieg von 2 bis zur Wende zum 20. Jahrhundert auf etwa 5 Prozent des Nettosozialprodukts an.
Bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt stieg der Anteil in den 1930er Jahren auf knapp 15 Prozent und pendelte sich in den vergangenen Jahrzehnten bei etwa 10 Prozent ein. Der Saldo der Primäreinkommen schließlich hat sich in den vergangenen Jahrzehnten weitgehend ausgeglichen. Während damit der Unterschied zwischen Bruttosozialprodukt und Bruttoinlandsprodukt eher gering ausfiel, zeigte sich in den vergangenen 20 Jahren ein insbesondere durch Auslandsinvestitionen deutscher Anleger vergleichsweise stark ansteigender Saldo, sodass das Bruttosozialprodukt mittlerweile rund 2 Prozent über dem Bruttoinlandsprodukt liegt, mithin also kontinuierlich stärker steigt.19
SBZ / DDR (1945 – 1990)
Es ist allgemein bekannt, dass das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in der DDR niedriger war als in der Bundesrepublik. Nun wäre es aber allzu leicht, dies lediglich einem überlegenen kapitalistischen Wirtschaftssystem des Westens zuzuschreiben. In der historischen Realität sind die Dinge oftmals komplexer. Bevor man die Ursachen in einem Systemvergleich sucht, muss zunächst bedacht werden, dass in den beiden Staaten auch regionale strukturelle Unterschiede zum Tragen kamen. Dies sind zum einen schlicht geografische Voraussetzungen, zum anderen die – teilweise daraus resultierenden – langfristigen Entwicklungen, die solche Strukturen über lange Zeiträume geprägt haben. Auch in den alten Bundesländern war und ist das Bruttosozialprodukt unterschiedlich. So beträgt zum Beispiel das Niveau in Schleswig-Holstein derzeit etwa 80 Prozent des Niveaus von Bayern oder Baden-Württemberg.20 So wie Schleswig-Holstein und die Gebiete des heutigen Mecklenburg-Vorpommern landwirtschaftlich geprägt waren und sind, so waren das Ruhrgebiet und Sachsen über viele Jahrzehnte und Systemgrenzen hinweg industrielle Kernzonen. Dies galt auch für die Zeit der DDR. Betrachtet man deren Startvoraussetzungen, so war das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf auf dem Gebiet der heutigen DDR 1938 höher als dasjenige auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik.21 Allerdings hatte die DDR nach dem Krieg weitaus stärker als die Bundesrepublik unter Demontagen und Reparationslieferungen zu leiden, sodass das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf um 1950, also noch vor der Etablierung eines sozialistischen Wirtschaftssystems, nur noch auf etwa der Hälfte des Westniveaus lag.22 ► Tab 6
Ein Blick auf die folgenden Jahrzehnte zeigt, dass das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf bis auf etwa 55 Prozent des Westniveaus anstieg. Nach diesen Zahlen konnte die DDR also ihre relative Position bis zum Ende hin sogar verbessern. Ein möglicher Grund unter mehreren für diese zunächst überraschende Entwicklung ist sicher die weitaus dynamischere Einbindung weiblicher Arbeitskräfte in die Wirtschaft. Deren Erwerbsquote übertraf diejenige der Bundesrepublik bei Weitem (siehe Kapitel 24). Die Entwicklung der Wertschöpfungsanteile zeigt allerdings, dass auch die strukturelle Entwicklung völlig anders verlief als in der Bundesrepublik. Während dort ab den 1970er Jahren der Dienstleistungssektor anteilsmäßig die Führung übernahm, dominierte in der DDR ab 1955 und bis zum Ende der Bereich des produzierenden Gewerbes, der ab etwa 1970 statistisch die Hälfte der Wertschöpfung ausmachte.23 Zwar ergibt sich rein rechnerisch eine im Lauf der Zeit steigende Investitionsquote, doch die realwirtschaftliche Situation, die sich hinter diesen Zahlen verbirgt, ist eindeutig: Die gesteuerte Ausrichtung auf den industriellen Bereich, verbunden mit einer geringen Integration in den Weltmarkt, führte zu einer zunehmenden technologischen Rückständigkeit und Pfadabhängigkeit, in der mit immer weniger und immer größeren Betrieben hartnäckig an einem kommunistischen Industrialisierungsmodell festgehalten wurde. Die Folge war ein immer schwerfälliger agierender Wirtschaftsprozess, bei dem sich die fehlende Dynamik einer mittelständischen Unternehmensstruktur von Jahr zu Jahr stärker bemerkbar machte.24
Nach 1989 brach das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der neuen Länder auf etwa 43 Prozent des Werts der alten Bundesrepublik ein. In den folgenden vier Jahren konnte es stark, auf etwa 67 Prozent, seither jedoch nur noch sehr langsam auf aktuell rund 73 Prozent „aufholen“.25 Wie intensiv hier Erbschaften aus DDR-Zeiten nachwirken, wirtschaftspolitische Fehlentscheidungen seit der Wiedervereinigung oder systemunabhängige regionalstrukturelle Gründe eine Rolle spielen und mit welcher Gewichtung diese jeweiligen Faktoren zu berücksichtigten sind, ist in der Forschung umstritten.
Resümee
Die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung kann ein umfassendes Bild der wirtschaftlichen Entwicklung eines Landes liefern. Einer ihrer großen Vorteile besteht darin, dass sie in einem geschlossenen System Daten für zentrale Größen der ökonomischen Theorie bereitstellt und damit sehr weitreichende Aussagen auch im intertemporalen wie internationalen Vergleich ermöglicht. Sie ist aber gleichzeitig auch eine äußerst schwierige Konstruktion. Einige grundsätzliche konzeptionelle Probleme seien hier nur kurz angedeutet: Weite Teile der wirtschaftlichen Tätigkeit, etwa Hausarbeit, werden „jenseits des Marktes“ erbracht. Gleichzeitig fließen in die „Wertschöpfung“ auch Dinge ein, die nach dem allgemeinen Verständnis die Wirtschaftsleistung eines Landes eher negativ beeinflussen, etwa die Beseitigungen von Umweltverschmutzungen oder seit einigen Jahren auch der Drogenhandel.26 Einige dieser Aspekte werden im Rahmen der VGR durch externe Ergänzungen berücksichtigt, etwa indem man zusätzlich eine umweltökonomische Gesamtrechnung erstellt oder die unentgeltlich erbrachten Leistungen in privaten Haushalten durch eine sozioökonomische Berichterstattung erfasst. Diese Ergänzungen bleiben bislang nur sogenannte Satellitensysteme. Aber auch die VGR selbst ist in einer sich weiter entwickelnden Welt ständigen Erweiterungen unterworfen, die langfristige historische Vergleiche erschweren.
Schließlich gibt es umfangreiche Diskussionen, inwieweit selbst die „eine Zahl“, das Brutto- oder Nettosozial- bzw. Inlandsprodukt als Maßstab für eine Beurteilung des Wohlstands und sozialen Fortschritts taugt. Für langfristige historische Vergleiche bietet das Nettosozial- bzw. -inlandsprodukt eine Reihe von Vorteilen.27 Aber auch diese Größe ist lediglich ein Mittelwert, der nichts darüber aussagt, wie die Einkommen verteilt sind (siehe Kapitel 23). Eine auch aus historischer Sicht realisierbare Alternative ist der von den Vereinten Nationen verwendete Human Development Index, der in seiner einfachsten Variante neben dem Bruttoinlandsprodukt die Lebenserwartung und den Zugang zur Bildung erfasst (siehe Kapitel 10). Schließlich muss bei dieser Statistik mehr noch als bei den meisten anderen gelten, dass den ermittelten Zahlen keine naturwissenschaftliche Genauigkeit unterstellt werden darf. Schon vor Jahrzehnten hat Oskar Morgenstern in seinem berühmten Buch Über die Genauigkeit wirtschaftlicher Beobachtungen gerade der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung aufgrund ihrer komplexen Konstruktionsprozesse Fehlermargen nachgewiesen, die weit über denjenigen anderer Berichtssysteme liegen.28 Zweifellos sind die Messtechniken mittlerweile genauer, bei einem Vergleich über 170 Jahre sollten aber die Schlussfolgerungen, die aus solchen Zahlen gezogen werden, wohl bedacht sein.
Datengrundlage
Die jeweils aktuellen Daten zu den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen werden vom Statistischen Bundesamt in einem sogenannten Nationalen Veröffentlichungsprogramm in umfangreicher Form und mehrmals pro Jahr publiziert. Aufgrund der Problematik der zahlreichen Generalrevisionen, die ausführlich in der diesen Textband begleitenden Dokumentation beschrieben wird, sollte für historische Vergleiche so weit wie möglich auf die vom Statistischen Bundesamt publizierten „Langen Reihen“ zurückgegriffen werden, da diese zumindest abschnittweise konsistente Reihen darstellen. Daten für die DDR wurden in einem Projekt des Statistischen Bundesamtes gemeinsam mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin und dem Institut für Wirtschaftsforschung Halle zusammengestellt. Darauf aufbauend hat Gerhard Heske eine Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung der DDR für 1950 bis 1989 erstellt, die Tabelle 6 zugrunde liegt. Für lange Reihen zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kann auf die Rekonstruktion von Albrecht Ritschl und Mark Spoerer zurückgegriffen werden. Für das Jahr 1936 liegt mittlerweile eine von Rainer Fremdling und Reiner Staeglin aufbereitete Input-Output-Tabelle vor, die sich auf neu ausgewertetes Archivmaterial stützt. Für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts haben Carsten Burhop und Guntram B. Wolff sowie Ulrich Pfister ausgewählte Neuberechnungen in kritischer Auseinandersetzung mit Walther G. Hoffmann präsentiert.29
Zum Weiterlesen empfohlen
- Rainer Fremdling/Reiner Stäglin: Output, national income, and expenditure: An input-output table of Germany in 1936, in: European Review of Economic History, 18 (2014) 4, S. 371– 397.
- Heinrich Lützel: Entwicklung des Sozialprodukts 1950 bis 1984, in: Wirtschaft und Statistik, (1985) 6, S. 433 – 444.
- Ulrich Pfister: Die 1870er Jahre als Strukturbruch der langfristigen wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands, in: Ulrich Pfister/Jan-Otmar Hesse/Mark Spoerer/Nikolaus Wolf (Hrsg.): Deutschland 1871: Die Nationalstaatsbildung und der Weg in die moderne Wirtschaft, Tübingen 2021 (Die Einheit der Gesellschaftswissenschaften im 21. Jahrhundert 6), S. 97 – 118.
- Albrecht Ritschl: Wirtschaftliche Folgen des Ersten Weltkriegs, in: Marcel Boldorf (Hrsg.): Deutsche Wirtschaft im Ersten Weltkrieg (Handbücher zur Wirtschaftsgeschichte), Berlin 2020, S. 601– 617.
- Albrecht Ritschl / Mark Spoerer: Das Bruttosozialprodukt in Deutschland nach den amtlichen Volkseinkommens-und Sozialproduktsstatistiken 1901–1995, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, (1997) 2, S. 27– 54.
- Horst Siebert: The German Economy: Beyond the Social Market, Kap. 1: Basic Features of the German Economy, S. 1– 23, Princeton 2014.
- Klaus Voy (Hrsg.): Zur Geschichte der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen nach 1945 (Kategorien der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen 4), Marburg 2009.
Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz „CC BY-NC-ND 3.0 DE – Namensnennung – Nicht-kommerziell – Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland“ veröffentlicht. Quelle: Thomas Rahlf (Hg.), Deutschland in Daten. Zeitreihen zur Historischen Statistik, 2. Auflage, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2022.
Anmerkungen
- Der Beitrag profitiert von einem regen Austausch mit Ulrich Pfister und Mark Spoerer. Verbleibende Fehler gehen zu Lasten des Autors. Für weitere wertvolle Hinweise danke ich Rainer Fremdling und Nikolaus Wolf.
- Philipp Lepenies: Die Macht der einen Zahl. Eine politische Geschichte des Bruttoinlandsprodukts, Berlin 2013.
- Ebd.; Daniel Speich Chassé: Die Erfindung des Bruttosozialprodukts. Globale Ungleichheit in der Wissensgeschichte der Ökonomie (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 212), Göttingen u. a. 2013; Diane Coyle: GDP: A Brief but Affectionate History, Princeton u. a. 2014.
- Für die Bundesrepublik siehe Klaus Voy (Hrsg.): Zur Geschichte der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen nach 1945, Band 4: Kategorien der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen, Marburg 2009.
- Als Überblick siehe Tanja Mucha: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen, in: Bundeszentrale für politische Bildung/Statistisches Bundesamt/ Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung: Datenreport 2018. Ein Sozialbericht für die Bundesrepublik Deutschland, Bonn 2018, S. 129 –137.
- Nach dieser Methode konnten kleinere Einkommen und Einkommen des Agrarsektors nur unzureichend erfasst werden und mussten durch Schätzungen ergänzt werden. Vgl. Gerhard Fürst: Wandlungen im Programm und in den Aufgaben der amtlichen Statistik in den letzten 100 Jahren, in: Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Bevölkerung und Wirtschaft 1872 –1972, Stuttgart/Mainz 1972, S. 40.
- So ist die große Revision 1999 eine Umsetzung der Überarbeitung des Europäischen Systems Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen (ESVG) von 1995, die ihrerseits eng angelehnt ist an die Revision des System of National Accounts (SNA) der Vereinten Nationen von 1993. Deren Neuauflage 2008 wurde wiederum als ESVG 2010 von der Europäischen Union 2011 beschlossen und 2014 vom Statistischen Bundesamt rückwirkend umgesetzt. Die Erstellung von Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen nach diesem System ist für alle EU-Mitgliedstaaten verbindlich.
- Für einen ausführlichen Überblick vgl. die Dokumentation zu diesem Kapitel.
- Die Welt vom 13. August 2014; Tagesspiegel vom 28. August 2019.
- Vgl. Ulrich Pfister: Die 1870er Jahre als Strukturbruch der langfristigen wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands, in: Ulrich Pfister/Jan-Otmar Hesse/Mark Spoerer/Nikolaus Wolf (Hrsg.): Deutschland 1871: Die Nationalstaatsbildung und der Weg in die moderne Wirtschaft (Die Einheit der Gesellschaftswissenschaften im 21. Jahrhundert 6), Tübingen 2021, S. 97–118.
- Vgl. Albrecht Ritschl: Wirtschaftliche Folgen des Ersten Weltkriegs, in: Marcel Boldorf (Hrsg.): Deutsche Wirtschaft im Ersten Weltkrieg (Handbücher zur Wirtschaftsgeschichte), Berlin 2020, S. 612.
- Das Problem der Preisbereinigung wird in der Dokumentation ausführlicher erläutert.
- Vgl. Heinrich Lützel: Entwicklung des Sozialprodukts 1950 bis 1984, in: Wirtschaft und Statistik, (1985) 6, S. 439. Lützel weist jedoch darauf hin, dass aufgrund der Probleme der Preismessung im Staatssektor die Angaben mit einer gewissen Unsicherheit behaftet sind.
- Pfister (Anm. 10), S. 109, nach Lampe/ Wolf in diesem Band.
- Bei der Berechnung ist zu bedenken, dass als Komponente nur die Differenz zwischen Aus- und Einfuhr für das Bruttoinlandsprodukt zu berücksichtigen ist.
- Nach Walther Adler/Stefan Hauf/Dieter Schäfer: Bruttoinlandsprodukt 2018 und Investitionen in Deutschland, in: Wirtschaft und Statistik, (2019) 1, S. 98 sind 2018 45 Prozent der Bruttoanlageinvestitionen Ausrüstungen einschließlich militärischer Waffensysteme sowie Forschung und Entwicklung.
- Vgl. ebd., S. 111.
- Michael Grömling: Entwicklung der makroökonomischen Einkommensverteilung in Deutschland, in: Vierteljahresschrift zur empirischen Wirtschaftsforschung, 44 (2017) 1, S. 77 – 98. Auch diese Statistik ist jedoch mit Vorsicht zu betrachten, da sie nur etwas über die Summen und nicht die Anzahl der Personen aussagt. So sind seit 1950 viele Selbstständige in abhängige Beschäftigungsverhältnisse gewechselt, sodass sich die Summe des Arbeitnehmerentgelts auf entsprechend mehr und die der Unternehmenseinkommen auf entsprechend weniger Köpfe verteilte. Vgl. Lützel (Anm. 13), S. 441 und siehe dazu auch Kapitel 10. Zu beachten ist weiterhin, dass in vielen Untersuchungen zur langfristigen Entwicklung von Kapital und Vermögen der Kapitalanteil nicht das Einkommen der Selbstständigen berücksichtigt, sondern dies anders als im Rahmen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ganz oder teilweise bei dem Arbeitseinkommen verbucht, so z. B. Erik Bengtsson/Daniel Waldenström: Capital Shares and Income Inequality: Evidence from the Long Run, in: Journal of Economic History, 78 (2018) 3, S. 712 –743.
- Vgl. Thieß Petersen: Wohlfahrtsmessung: Inlandsprodukt versus Nationaleinkommen, in: Wirtschaftsdienst, 99 (2019) 10, S. 725 –730.
- Auf Ebene der Kreise beträgt das BIP pro Kopf des untersten Viertels aller Kreise lediglich 40 Prozent des Wertes des obersten Viertels. Daten: Arbeitskreis Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung der Länder.
- Nikolaus Wolf: Regional economic growth in Germany, in: Joan Ramón Rosés/Nikolaus Wolf (Hrsg.), The Economic Development of Europe’s Regions. A Quantitative History since 1900, London 2019, S. 160.
- Vgl. Jaap Sleifer: Planning Ahead and Falling Behind: The East German Economy in Comparison with West Germany, 1936 – 2002, Berlin 2006.
- Hierbei sind allerdings die unterschiedlichen Berechnungskonzepte der beiden Systeme zu berücksichtigen, bei denen insbesondere der Dienstleistungssektor unterschiedlich aufgefasst wurde. Vgl. Udo Ludwig: Die gesamtwirtschaftliche Entwicklung der SBZ/DDR (1949 bis 1990) – eine Bilanz, in: Günther Heydemann/ Karl-Heinz Paqué (Hrsg.): Planwirtschaft – Privatisierung – Marktwirtschaft. Wirtschaftsordnung und -entwicklung in der SBZ/DDR und den neuen Bundesländern 1945 –1994 (Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung 63), Göttingen 2017, S. 146.
- Vgl. ebd., S. 147.
- Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (Hrsg.): Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2018, München 2018, S. 16.
- So wurden etwa mit der Einführung des Europäischen Systems der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (ESVG) 2010 in der deutschen Berechnung 2014 erstmals auch illegale Aktivitäten wie die inländische Drogenproduktion berücksichtigt, womit dann durch das Statistische Bundesamt auch die in Deutschland produzierten „Drogenmengen mit den Straßenpreisen bewertet werden“ mussten. Vgl. Statistisches Bundesamt, Strategie- und Programmplan. Für die Jahre 2017– 2021, o. O. 2017, S. 25. Solche illegalen Aktivitäten hat es aber natürlich nicht erst seit 2014 gegeben.
- Vgl. z. B. die Argumente von Joseph E. Stiglitz/Amartya Sen/Jean-Paul Fitoussi: Report by the Commission on the Measurement of Economic Performance and Social Progress, o. O. 2009.
- Oskar Morgenstern: Über die Genauigkeit wirtschaftlicher Beobachtungen, 2. Aufl., Wien/Würzburg 1965 (1. Aufl. 1950), S. 244 – 284.
- Vollständige Angaben jeweils in der Datendokumentation zu diesem Kapitel.