16 Verkehr und Kommunikation

Christopher Kopper

Die Geschichte des 19. und des 20. Jahrhunderts ist eine Geschichte der Transportrevolution. Durch den Bau eines landesweiten Eisenbahnnetzes vervielfachten sich die Transportmengen und Transportentfernungen. Menschen erhielten Mobilitätsmöglichkeiten, die im Vor-Eisenbahnzeitalter undenkbar waren. Nach 1945 hob die individuelle Massenmotorisierung die Gegensätze zwischen verkehrsnahen und verkehrsfernen Räumen auf und reduzierte den Raumwiderstand nochmals erheblich.

Der Beginn des modernen Massentransports

Die Eröffnung der ersten deutschen Eisenbahnlinie von Nürnberg nach Fürth im Jahr 1835 markierte noch nicht den Durchbruch, aber den Anfang der Transportrevolution im 19. Jahrhundert. Erst die Erfindung eines maschinengetriebenen Verkehrsmittels mit einer niedrigen Gleitreibung ermöglichte den kostengünstigen Transport schwerer Massengüter wie Kohle und Erz abseits der Flüsse und der noch kaum vorhandenen Kanäle. Obwohl die Eisenbahn als schnelles Transportmittel für Menschen, Briefe und Zeitungen bereits in der Revolution von 1848 eine Rolle spielte, war das deutsche Eisenbahnnetz 1850 mit einer Länge von 4 800 km jedoch noch weitmaschig.
Der Durchbruch der Eisenbahn zum Leitsektor der Industriellen Revolution in Deutschland lässt sich auf die 1850er Jahre datieren. In diesem Jahrzehnt führten die noch überwiegend privatwirtschaftlichen Eisenbahngesellschaften den „Pfennigtarif“ ein, bei dem der Transport von einer Tonne Kohle über einen Kilometer nicht mehr als einen Pfennig kostete. Neben dem positiven Angebotseffekt des preiswerten Gütertransports erzeugten die Eisenbahn und der Eisenbahnbau einen nachhaltigen Nachfrageeffekt für Bauleistungen und Erzeugnisse des Maschinen- und Fahrzeugbaus, der den Take-off der deutschen Wirtschaft im Zeitalter der Industrialisierung beschleunigte.1 Das durch die Eisenbahn induzierte Verkehrswachstum war gewaltig: Von 1850 bis 1870 stieg der Personenverkehr auf der Bahn – in Personenkilometern (pkm) gerechnet – auf das 16-Fache; der Güterverkehr mit der Bahn stieg in Tonnenkilometern (tkm) gerechnet sogar um das 25-Fache. ► Tab 1

Die Transportrevolution im Landverkehr beschleunigte neben der privaten Kommunikation per Brief auch die mediale Massenkommunikation durch Zeitungen, die immer häufiger noch am gleichen Tag den Zeitschriftenhandel und die Abonnenten erreichten. Obwohl das Landstraßennetz in Preußen und den anderen Staaten des Deutschen Bundes systematisch gepflastert und für schwerere Fuhrwerke ausgebaut wurde2, konnten weder der Güterverkehr noch der Personenverkehr auf längeren Strecken hinsichtlich der Transportkosten und Fahrzeiten mit der Eisenbahn konkurrieren. Die Landstraßenmaut, die in Preußen erst 1875 abgeschafft wurde, war ein weiterer Anreiz, Güter auf längeren Strecken mit der Bahn zu versenden.
Die fälschlicherweise als „Große Depression“ bezeichnete Gründerkrise von 1873 bis 1878 schlug sich neben dem spektakulären Konkurs des Eisenbahnkonzerns von Bethel Strousberg in einer zeitweisen Verlangsamung des Verkehrswachstums auf der Schiene nieder. In diesen fünf Jahren wuchs der Güterverkehr (in Tonnenkilometern) lediglich um 14 Prozent, was aber nicht als Zeichen einer Rezession zu werten ist. Zur gleichen Zeit scheiterte Reichskanzler Otto von Bismarck mit seinem Versuch, die Staatsbahngesellschaften der Länder auf das Deutsche Reich zu überführen. Angesichts der erheblichen Ertragsüberschüsse der Länderbahnen stieß sein Versuch, die Macht des Reichs zu Lasten der Bundesstaaten zu steigern, auf den unüberwindlichen Widerstand der Bundesstaaten im Reichsrat.3 Die Staatsbahnen entwickelten sich zu einer wichtigen Einnahmequelle der Bundesstaaten und wurden deshalb unmittelbar in das Fiskalvermögen eingegliedert. ► Tab 1, Abb 1

Aus haushaltspolitischen Gründen machten die Regierungen in Preußen und den anderen deutschen Ländern in den späten 1870er Jahren von ihrem Recht Gebrauch, die Aktien der größeren privaten Eisenbahngesellschaften aufzukaufen. Die Königlich Preußische Eisenbahnverwaltung (KPEV) war, wie der Name sagte, kein selbstständiges öffentliches Unternehmen, sondern eine unselbstständige Betriebsverwaltung innerhalb des Staatsministeriums für öffentliche Arbeiten. Das Preußische Ministerium für öffentliche Arbeiten nutzte seinen finanziellen Spielraum aus, um mit den Betriebsüberschüssen der KPEV den Bau von Nebenbahnen zu finanzieren und andere Gebietskörperschaften, wie die Provinzialverwaltungen und die Landkreise, bei der Finanzierung von eigenen Nebenbahn- und Kleinbahnprojekten zu unterstützen.4 Vor allem durch den Bau von Nebenbahnen verdoppelte sich die Länge des deutschen Eisenbahnnetzes von 1878 (30 000 km) bis 1914 (62 000 km). Sieht man von kleineren Staaten wie Belgien und der Schweiz ab, besaß das Deutsche Reich das dichteste Eisenbahnnetz auf dem europäischen Kontinent. Auch die Kommunikation per Brief hatte sich nicht zuletzt durch die Synergieeffekte zwischen dem Ausbau des Bahnnetzes und der beschleunigten Postbeförderung sehr verdichtet. Während 1870 334 Millionen Briefsendungen verschickt wurden, waren es 1913 6 822 Millionen. Der Postverkehr erreichte damit ein Niveau, das in den 1920er und 1930er Jahren nur noch unwesentlich übertroffen wurde. ► Tab 1, Tab 6
Obwohl der Binnenschiffverkehr auf Flüssen und Kanälen ab den 1880er Jahren signifikant wuchs, verzeichnete der Güterverkehr auf der Eisenbahn von 1878 bis 1914 nochmals eine Versechsfachung seines Volumens in Tonnenkilometern. Der Wachstumsschub des Binnenschiffverkehrs war unter anderem eine Folge des Kanalbaus, der viele Steinkohlezechen des schnell wachsenden Ruhrgebiets durch den Rhein-Herne-Kanal (Eröffnung 1914) mit dem Rheinhafen Duisburg verband. Seit 1899 stellte der Dortmund-Ems-Kanal eine Schifffahrtsverbindung zwischen dem Nordseehafen Emden und dem Ruhrgebiet dar, durch den vor allem die Hochöfen des Ruhrgebiets mit Eisenerz aus Schweden versorgt wurden. In der gleichen Zeit wurde durch den Oder-Spree-Kanal (1891) und den Oder-Havel-Kanal (1914) eine direkte Schiffverbindung zwischen dem oberschlesischen Industrierevier und der Reichshauptstadt Berlin geschaffen, die bis 1945 Deutschlands größte Industriestadt bleiben sollte. ► Tab 2, Tab 3

Während bis 1900 die Berliner Häfen die größte Umschlagmenge verzeichneten, standen danach die Häfen von Duisburg und Berlin bis in die 1920er Jahre auf vergleichbarer Höhe. Duisburg profitierte besonders von seiner Lage am Rhein, der weitaus verkehrsreichsten Binnenwasserstraße in Deutschland und Europa. Die Schifffahrt auf dem Rhein wuchs auch dank der Mannheimer Rheinschifffahrtsakte von 1868, die den Schiffen aller Anrainerstaaten die abgabenfreie Benutzung und den freien Marktzugang zusicherte. Aus der Sicht der Landeseisenbahnverwaltungen war das Wachstum des Binnenschiffverkehrs nicht problematisch, solange die Bahnen im Güterverkehr Gewinne erwirtschafteten. Spezielle Umschlagtarife der Eisenbahnverwaltungen für den „gebrochenen“ Verkehr mit Bahn und Binnenschiff ermutigten eine funktional und verkehrsgeografisch begründete Arbeitsteilung im Massengutverkehr. Die Bedenken der ostelbischen Agrarlobby verhinderten jedoch bis in die 1920er Jahre den Weiterbau des Mittellandkanals von Hannover in Richtung Elbe und damit eine Verbindung zwischen den Stromgebieten von Rhein, Weser, Elbe und Oder.

Die allmähliche Auflösung des Bahnmonopols

Bereits Jahre vor dem Kriegsbeginn im August 1914 hatte der preußische Generalstab in Zusammenarbeit mit der KPEV geheime Fahrpläne für den Mobilisierungsfall ausgearbeitet, um die Truppen so schnell wie möglich an die westliche und an die östliche Reichsgrenze zu transportieren. Während die Mobilmachungstransporte im August 1914 mit sprichwörtlicher generalstabsmäßiger Präzision funktionierten, stießen die Länderbahnen 1917 an ihre personellen und materiellen Grenzen. Der Mangel an Zug- und Streckenpersonal, an Lokomotiven und Waggons und an Arbeitskräften in den Ausbesserungswerken führte ab 1917 zu einer Transportkrise, die vor allem die Versorgung der Zivilbevölkerung, aber auch die militärische Logistik betraf. Zudem erzielten die Länderbahnen ab 1917 zunehmend höhere Defizite, weshalb die Länderregierungen bei den Verhandlungen zur Weimarer Verfassung 1919 zustimmten, die Länderbahnen in Reichsbesitz zu überführen.
Die konjunkturelle Scheinblüte der Inflationszeit und die zunehmend durch die Inflation entwerteten Tarife waren dafür verantwortlich, dass die neugegründete Reichsbahn 1922 mit 68,1 Milliarden Tonnenkilometern die Transportleistung des letzten Vorkriegsjahrs 1913 (57,3 Milliarden Tonnenkilometer) trotz des um 10 Prozent verkleinerten Reichsgebiets deutlich übertraf.5 Erst auf dem Höhepunkt der Hyperinflation im Sommer 1923 ging die Reichsbahn dazu über, ihre Tarife an die allgemeine Preisentwicklung zu indexieren.
Als Folge der hohen Betriebsdefizite entschloss sich die Reichsregierung, die unselbstständige Hoheitsverwaltung Reichsbahn in eine wirtschaftlich selbstständige Aktiengesellschaft mit dem Namen Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft (DRG) umzuwandeln. Von 1924 bis 1929 war ein großer Teil ihrer Gewinne zweckgebunden, um die Reparationsschulden des Reiches zu finanzieren. Dank ihrer hohen Modernisierungsinvestitionen während der Inflationszeit und in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre gehörte die DRG zu den modernsten und profitabelsten Eisenbahnbetrieben Europas.
Am Ende der 1920er Jahre wurde die positive Ertragslage der DRG zum ersten Mal vom Wachstum des Straßengüterverkehrs bedroht. Obwohl der Straßengüterverkehr 1930 nur ein Transportvolumen von 3,5 Milliarden Tonnenkilometern besaß6, während die Eisenbahn 55,3 Milliarden Tonnenkilometer transportierte, begann der Lkw-Verkehr das Geschäftsmodell der Bahn infrage zu stellen. Der gewerbliche Lkw-Fernverkehr und der Werkverkehr begannen ihren Marktdurchbruch bei den Fertigwaren mit den höchsten Transporttarifen. Während die Tarifpolitik der DRG auf soziale und regionalpolitische Interessen Rücksicht nehmen und alle Kunden gleich behandeln musste, operierte der gewerbliche Lkw-Verkehr ohne jede staatliche Tarifaufsicht und Marktregulierung. Die DRG sah ihr Geschäftsmodell bedroht, bei dem sie den gemeinwirtschaftlichen Personennahverkehr und einige Ausnahmetarife im Massengutverkehr durch Gewinne bei Fertigwaren quersubventionierte. Um die DRG vor Verlusten durch den unregulierten Wettbewerb mit dem Güterfernverkehr auf der Straße zu schützen, erließ die Reichsregierung unter Heinrich Brüning im Oktober 1931 eine Notverordnung zur Tarifgleichheit im Fernverkehr auf Straße und Schiene.7 1935 beschränkte das Reichsverkehrsministerium auch die Zahl der Lkw, die für den gewerblichen Güterfernverkehr (ab 50 Kilometer) zugelassen waren, um die Kapazitäten der Konkurrenz auf der Straße zu regulieren. ► Abb 2

Während die nationalsozialistische Verkehrspolitik das Wachstum des Lkw-Verkehrs begrenzte, förderte sie den Kauf von Pkw mit dem Mittel der Steuerpolitik. Die Zahl der Pkw stieg nicht zuletzt dank der Steuerfreiheit für Neufahrzeuge von 1933 bis 1938 von 0,5 bis auf 1,3 Millionen Fahrzeuge. Ungeachtet aller Motorisierungspropaganda war Deutschland vor dem Krieg von der Massenmotorisierung noch weit entfernt. Auf 1 000 Einwohner kamen 1938 lediglich 19 Pkw. Dies hätte sich auch dann nicht geändert, wenn der Krieg nicht die Massenproduktion des Volkswagens verhindert hätte. Der anvisierte Kaufpreis von 990 Reichsmark wäre weit überschritten worden und hätte den Durchbruch des Autos zum Massenkonsumgut verhindert.8 Das am meisten verbreitete motorisierte Verkehrsmittel war noch immer das preiswertere Motorrad, von dem 1938 1,5 Millionen Fahrzeuge zugelassen waren. Die Motorradwelle ging erst in den späten 1950er Jahren zu Ende, als die Zahl der zugelassenen Pkw die Zahl der Motorräder überholte. ► Tab 4

Leider fehlen für die Zeit des Zweiten Weltkriegs zuverlässige Zahlen über die Transportleistungen von Bahn, Binnenschifffahrt und Kraftverkehr. In der Forschung herrscht jedoch Übereinstimmung, dass die Reichsbahn bis zum Sommer 1944 die Transportanforderungen der Wehrmacht, der Rüstungsproduktion und der Zivilbevölkerung erfüllen konnte. Erst der Strategiewechsel der alliierten Luftkriegsführung zu einer gezielten Bombardierung von Bahnanlagen führte zu einer zunehmenden Lähmung der Eisenbahn.9

Der Durchbruch des motorisierten Straßenverkehrs

Die Verkehrsinfrastruktur war nach dem Krieg durch gesprengte Brücken und zerstörte Gleisanlagen zunächst nur sehr eingeschränkt nutzbar. Die arbeitsintensive Rekonstruktion des Schienennetzes sowie der Lokomotiven und Waggons in den Jahren von 1945 bis 1948 schuf die Voraussetzung dafür, dass die Bahn nach der Währungsreform dem Transportbedarf der Wirtschaft und der Transportnachfrage der Bevölkerung gerecht werden konnte. Gegenüber dem Lkw-Verkehr geriet die neugegründete Deutsche Bundesbahn (DB) jedoch in einen Wettbewerbsnachteil. Zum anderen musste die DB die Kosten für die Beseitigung der Kriegsschäden selbst tragen, während das Straßennetz auf Staatskosten instandgesetzt wurde. Zum anderen endeten mit dem Deutschen Reich auch die Institutionen zur Regulierung des Wettbewerbs zwischen Straße und Schiene. Erst ab 1952 konnte die Bundesregierung die Einhaltung der Tarifparität wieder überwachen. Darüber hinaus musste die DB erhebliche Mehraufwendungen für die Wiedereinstellung von 45 000 Flüchtlingen und Entnazifizierten tragen, die nach betriebswirtschaftlichen Kriterien überzählig waren.10 Dies hatte zur Folge, dass die DB lediglich 1951 auf dem Höhepunkt des Nachkriegsbooms einen Gewinn ausweisen konnte und ab 1952 zunehmend höhere Defizite ausweisen musste. Wegen der zunehmenden Konkurrenz des Lkw beim Transport von Kaufmannsgütern verlor die DB die Möglichkeit, den defizitären Personennahverkehr mit den Gewinnen des Güterverkehrs zu subventionieren.
Der Lkw-Verkehr wuchs unter anderem wegen der großzügigen steuerlichen Abschreibungen für Investitionsgüter, die Industrie und Handel einen finanziellen Anreiz boten, Transporte in eigener Regie durchzuführen. Während die Zahl der Pkw im Bundesgebiet erst 1952 den Stand von 1939 überschritt, gab es bereits Ende 1948 mehr Lkw als vor dem Krieg. Obwohl der Bundestag 1955 eine hohe Abgabe für Gütertransporte im Werkfernverkehr beschloss, ließ sich die wachsende Konkurrenz des Lkw nicht einhegen. Die Transportleistungen des Werkverkehrs gingen nur kurzzeitig und lediglich bei Massengütern zurück, während sich der Siegeszug des Lkw bei Kaufmannsgütern fortsetzte. ► Abb 2, Tab 4

Während sich der Strukturwandel des Verkehrs durch die Motorisierung des Güter- und Personenverkehrs bis 1939 erst in Ansätzen gezeigt hatte, hatte sich die Transportleistung des Lkw-Güterverkehrs bis 1955 (25 Milliarden Tonnenkilometer) gegenüber 1938 (6,7 Milliarden Tonnenkilometer) fast vervierfacht.11 Die Bundesdeutschen wurden durch das unerwartet schnelle Wachstum des Straßenverkehrs im wahrsten Sinne des Wortes überrollt. Mit 12 800 Toten im Straßenverkehr (1955) hatte sich die Zahl der Unfallopfer im Verkehr gegenüber der Vorkriegszeit mehr als verdoppelt. Der Preis des automobilen Fortschritts war im öffentlichen Bewusstsein so hoch gestiegen, dass die Bundesregierung 1957 innerhalb geschlossener Ortschaften die erste allgemeingültige Geschwindigkeitsbegrenzung auf 50 km/h einführen musste. ► Tab 4
Da Geschwindigkeitsbegrenzungen im verkehrspolitischen Diskurs der Öffentlichkeit als ein Element der kriegsbedingten Benzinrationierung in den Jahren von 1939 bis 1949 angesehen wurden, ließen sich weitere Geschwindigkeitsbegrenzungen nicht durchsetzen. Dies änderte sich erst, als die Öffentlichkeit Anfang der 1970er Jahre durch die Rekordzahl von 19 000 Toten im Straßenverkehr (1970) alarmiert wurde und eine Konsenslösung mit 100 km/h auf Landstraßen politisch durchsetzbar war.
Die 1950er Jahre waren das Jahrzehnt der beginnenden Massenmotorisierung. Bis 1960 hatte die bundesdeutsche Gesellschaft den Motorisierungsrückstand gegenüber Großbritannien und Frankreich aufgeholt. Das Jahr 1960 markierte auch in anderer Hinsicht einen Wendepunkt in der Verbreitung des Autos: Zum ersten Mal machten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mehr als 50 Prozent der Pkw-Halter aus.12 Für den steilen Anstieg des Pkw-Bestandes von 0,4 auf 4,5 Millionen während der 1950er Jahre waren neben den stetig steigenden Realeinkommen die stabilen und zeitweise sogar sinkenden Preise für neue und gebrauchte Autos verantwortlich. Die deutsche Autoindustrie holte die Entwicklung zur fordistischen Massenproduktion in den 1950er Jahren nach. Der weitaus größte deutsche Hersteller Volkswagen konnte seine Stückkosten auch dank der Absatzerfolge auf den ausländischen Märkten senken, auf denen er 50 Prozent seiner gesamten Produktion verkaufte.13 Dagegen war der Beitrag der Verkehrspolitik zur Förderung des Pkw eher gering. 1955 senkte die Bundesregierung die hohe Kraftfahrzeugsteuer um 20 Prozent, erhöhte aber im Gegenzug die Mineralölsteuer. Da der Ausbau des Autobahnnetzes in den 1950er Jahren zunächst nur langsam anlief, profitierte die Bundesrepublik im starken Maße von den Investitionen des NS-Regimes. ► Abb 3, Tab 4

Die 1960er und frühen 1970er Jahre werden in der Geschichtsschreibung zu Recht als eine Zeit der Planungseuphorie bezeichnet. Die Erwartung in stetig steigende Haushaltsmittel für Infrastrukturinvestitionen schlug sich im intensiven Ausbau der städtischen und der überörtlichen Straßennetze und in umfassenden langfristigen Planungen für S-Bahn- und U-Bahn-Netze in großstädtischen Ballungsräumen nieder. Durch den Einsatz von Düsenflugzeugen wurden erstmals Flugreisen für einen breiteren Personenkreis erschwinglich. ► Tab 5

Während die wirtschaftliche Hochkonjunktur bis Anfang der 1970er Jahre für ein hohes Wachstum der eisenbahnaffinen Grundstoffindustrie sorgte, führten das Ende des steilen Wachstumspfades nach der Ersten Ölpreiskrise (1973 /74) und die Strukturkrise der Eisen- und Stahlindustrie zu einem deutlichen Rückgang des Güterverkehrs auf der Schiene. Auch das zuvor sehr stetige Wachstum des Pkw-Besitzes verlangsamte sich in den Jahren von 1973 bis 1975 erheblich, was die deutsche Autoindustrie vor erhebliche Anpassungsprobleme stellte. Während die Zweite Ölpreiskrise 1979 und die weltweite konjunkturelle Rezession Anfang der 1980er Jahre für einen vergleichbaren Rückgang des Gütertransports auf der Schiene verantwortlich waren, verlangsamte sich das Wachstum des Straßenverkehrs trotz gestiegener Benzinpreise nicht.
Der Prozess des Strukturwandels im Verkehr war schon vor der Wiedervereinigung im Jahr 1990 weitgehend abgeschlossen. Von den 1960er bis in die 1980er Jahre hatte der Güterverkehr auf der Straße die Bahn als das wichtigste Landverkehrsmittel abgelöst. Obwohl die Bahn ihre Verkehrsleistungen – gemessen in Personenkilometern – im Personenverkehr dank schnellerer und häufigerer Zugverbindungen noch steigern konnte, war sie in ihrer quantitativen Bedeutung hinter dem Pkw weit zurückgefallen. Hierzu trug auch die Stilllegung des Personenverkehrs auf schlecht ausgelasteten Nebenstrecken bei. Da die Statistik nur die Strecken erfasst, die auch für den Güterverkehr stillgelegt wurden, spiegeln die Zahlen den vollen Umfang des „Rückzugs aus der Fläche“ nicht in seiner ganzen Dimension wider. ► Tab 1
Durch die Bundesbahnreform von 1993 wurde die DB von ihrer drückenden Altschuldenlast befreit und erhielt ausreichende öffentliche Leistungsvergütungen für den Personennahverkehr. Die Öffnung des Schienenverkehrsmarktes für Konkurrenten im Güterverkehr und die Ausschreibung von Nahverkehrsleistungen trugen zu qualitativen Leistungsverbesserungen bei und schufen Anreize, technische und organisatorische Produktivitätsreserven zu erschließen.
Die Vollendung des offenen und freien europäischen Binnenmarktes bis 1992 sollte den Trend zum Lkw weiter verstärken. Mit dem europäischen Binnenmarkt entfielen neben der quantitativen Beschränkung von Fernverkehrslizenzen auch die Zugangsbarrieren für ausländische Transportunternehmer im grenzüberschreitenden Verkehr und im deutschen Inlandsmarkt. Eine wichtige Rolle spielte auch die logistische Revolution, die durch zeitnahe Güteranlieferung (just in time) die Nachfrage nach Verkehrsleistungen zusätzlich verstärkte.
In der ehemaligen DDR brach mit der Planwirtschaft auch die strikte Lenkung des Gütertransports mit Transportnormativen zusammen, die einen großen Teil des Güterverkehrs über 50 Kilometer auf die stark belastete Deutsche Reichsbahn geleitet hatte. Die Marktwirtschaft beendete Wartezeiten von mehr als zehn Jahren für einen neuen Pkw und sorgte innerhalb von nur acht Jahren (von 1988 bis 1996) für eine Verdoppelung des Autobestands auf 1 000 Einwohner. Doch auch 20 Jahre nach dem Fall der Mauer lagen die Zahlen bei einem wichtigen Wohlstandsindikator, der Zahl der Pkw auf 1 000 Einwohner, in Westdeutschland um 35 Prozent höher als in Ostdeutschland. ► Tab 1, Tab 4
In der Nachkriegszeit verdichtete sich die virtuelle Kommunikation dank des Durchbruchs des Telefons von einem Mittel der geschäftlichen Kommunikation zu einem fast überall vorhandenen Ausstattungsgegenstand. Während es 1950 in der Bundesrepublik nur 2,4 Millionen Telefonanschlüsse gab, waren 1989 43,1 Millionen Anschlüsse vorhanden. Seit Anfang der 1990er Jahre beschleunigte sich der technologische und ökonomische Wandel auf dem Gebiet der Telekommunikation. Durch den Übergang von analoger zu digitaler Telekommunikationstechnologie wurde neben der Massenverbreitung des Mobiltelefons auch die Mehrfachnutzung der Leistungsnetze für Telefon, Fax und Internet möglich. Der dramatische Fall der Telefongebühren war jedoch nicht allein eine Folge des Durchbruchs der digitalen Technologie, sondern auch der Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes. ► Tab 6, Abb 4

Datengrundlage

In den Bänden des Statistischen Jahrbuchs für das Deutsche Reich, herausgegeben vom Statistischen Reichsamt, befinden sich die wichtigsten Zahlenreihen zur Entwicklung des Schienen-, Straßen- und Binnenschiffverkehrs bis 1945. Für die Geschichte nach 1945 liegen diese Zahlenreihen im Statistischen Jahrbuch für die Bundesrepublik des Statistischen Bundesamtes und in den entsprechenden Fachserien des Statistischen Bundesamtes vor.14 Die entsprechenden Daten zur Verkehrsgeschichte der DDR befinden sich in den Statistischen Jahrbüchern der DDR, herausgegeben vom Statistischen Amt der Deutschen Demokratischen Republik und in einer übersichtlichen Sonderveröffentlichung des Statistischen Bundesamtes.15 Zusätzliche Daten zur Verkehrsentwicklung findet man in der jährlich erscheinenden Datensammlung „Verkehr in Zahlen“ des Bundesverkehrsministeriums. Über die Entwicklung der Zivilluftfahrt gibt die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen Auskunft.16 Bereits 1957 veröffentlichte das damalige Bundespostministerium eine historische Datensammlung zum Post- und Fernmeldewesen.17
Die ausführlichste Datensammlung über den Eisenbahnverkehr von seinen Anfängen bis zur Wiedervereinigung ist in Rainer Fremdlings Datenkompilation publiziert.18 Vom Mainzer Historiker Andreas Kunz stammen die qualitativ vergleichbaren Datensammlungen über die historische Entwicklung des Binnenschiffverkehrs und die Seeschifffahrt in Deutschland.19 Zahlen über die Zulassungen und den Bestand von Kraftfahrzeugen in den Jahren bis 1933 sind in der Monografie von Rainer Flik veröffentlicht.20

Zum Weiterlesen empfohlen

  • Lothar Gall/Manfred Pohl (Hrsg.): Die Eisenbahn in Deutschland. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 1999.
  • Dietmar Klenke: „Freier Stau für freie Bürger“. Die Geschichte der bundesdeutschen Verkehrspolitik 1949 –1994, Darmstadt 1995.
  • Christopher Kopper: Handel und Verkehr im 20. Jahrhundert (= Oldenbourg-Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 63), München 2002.

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz „CC BY-NC-ND 3.0 DE – Namensnennung – Nicht-kommerziell – Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland“ veröffentlicht. Quelle: Thomas Rahlf (Hg.), Deutschland in Daten. Zeitreihen zur Historischen Statistik, 2. Auflage, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2022.

Anmerkungen

  1. Rainer Fremdling: Eisenbahn und deutsches Wirtschaftswachstum, Dortmund 1975.
  2. Clemens Wischermann: Chausseebau und Landverkehr in Westfalen während der Frühindustrialisierung, in: Wilfried Reininghaus/Karl Teppe (Hrsg.): Verkehr und Region im 19. und 20. Jahrhundert, Paderborn 1999, S. 71– 94.
  3. Christian Henrich-Franke: Gescheiterte Integration im Vergleich, Stuttgart 2012.
  4. Dieter Ziegler: Eisenbahnen und Staat im Zeitalter der Industrialisierung. Die Eisenbahnpolitik deutscher Staaten im Vergleich, Stuttgart 1996.
  5. Zahlen nach: Alfred C. Mierzejewski: The Most Valuable Asset of the Reich. A History of the German National Railway 1920 – 1932, Chapel Hill 1999, S. 53. Diese Zahlen basieren auf den Geschäftsberichten der Deutschen Reichsbahn für 1921 und 1922.
  6. Zahlen nach Walther G. Hoffmann: Das Wachstum der deutschen Wirtschaft seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, Berlin u. a. 1965, Tabelle 88.
  7. Frank Lippert: Lastkraftwagenverkehr und Rationalisierung in der Weimarer Republik, Frankfurt a. M. 1999; Heidi Rohde: Transportmodernisierung contra Verkehrsbewirtschaftung. Zur staatlichen Verkehrspolitik gegenüber dem LKW in den dreißiger Jahren, Frankfurt a. M. 1999; Richard Vahrenkamp: Die logistische Revolution. Der Aufstieg der Logistik in der Massenkonsumgesellschaft, Frankfurt a. M. 2012, S. 74 –123.
  8. Hans Mommsen: Das Volkswagenwerk und seine Arbeiter im Dritten Reich, Düsseldorf 1996.
  9. 9 Alfred C. Mierzejewski: Bomben auf die Reichsbahn, Freiburg 1993; ders.: The Most Valuable Asset of the Reich. A History of the German National Railway 1933 –1945, Chapel Hill 2000.
  10. Christopher Kopper: Die Bahn im Wirtschaftswunder, Frankfurt a. M. 2007; ders.: Der Durchbruch der Massenmotorisierung und die Bedeutung des Gebrauchtwagenmarkts, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 2010 /1, S. 27– 44; Dietmar Klenke: Bundesdeutsche Verkehrspolitik und Motorisierung, Stuttgart 1994.
  11. Hoffmann (Anm. 6), Tabelle 88.
  12. Klenke (Anm. 10), S. 354.
  13. Volker Wellhöner: Wirtschaftswunder – Weltmarkt – westdeutscher Fordismus. Der Fall Volkswagen, Münster 1996; Heidrun Edelmann: Heinrich Nordhoff und Volkswagen, Göttingen 2003.
  14. Beispiel: Statistisches Bundesamt: Verkehrsunfälle. Zeitreihen, Wiesbaden 2011.
  15. Statistisches Bundesamt: Sonderreihe mit Beiträgen für das Gebiet der ehemaligen DDR, Heft 18, Verkehrsstatistische Übersichten 1950 –1989, Wiesbaden 1994.
  16. www.adv.de./verkehrszahlen/archiv.
  17. Bundesministerium für das Postund Fernmeldewesen: Zahlenspiegel der Deutschen Reichspost (1871–1945), bearb. von Richard Maetz, Bonn 1957.
  18. Rainer Fremdling/ Andreas Kunz/ Ruth Federspiel: Statistik der Eisenbahnen in Deutschland 1835 –1989, St. Katharinen 1995.
  19. Andreas Kunz: Statistik der Binnenschifffahrt in Deutschland 1835 – 1989, St. Katharinen 1999; Andreas Kunz/ Lars U. Scholl: Statistik der Seeschifffahrt in Deutschland 1835 –1989, St. Katharinen 1999.
  20. Rainer Flik: Von Ford lernen? Automobilbau und Motorisierung bis 1933, Köln/ Weimar/ Wien 2001.