Rainer Metz
Der Beitrag behandelt Preisentwicklung, Preisstruktur und Kaufkraft des Geldes anhand langer, für diesen Beitrag rekonstruierter Preis- und Preisindexreihen. Alle Preisreihen zeigen langfristig einen Anstieg, allerdings in unterschiedlichem Ausmaß. Dies gilt auch für die Preisindexreihen. Im gesamten Zeitraum beträgt die durchschnittliche Inflationsrate etwa 2 Prozent. Die Zeit nach 1950 ist von einem permanenten Preisanstieg gekennzeichnet, der sich in den letzten Jahren aber verlangsamt hat.
Preise sind für marktwirtschaftlich organisierte Volkswirtschaften von zentraler Bedeutung. Die realisierten Marktpreise bilden sich aus dem Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage und liefern die Informationen, nach denen die Marktteilnehmer ihre wirtschaftlichen Aktivitäten ausrichten. Mit dieser Informationsfunktion ist eine Lenkungs- und Koordinationsfunktion für die Produktion, die Verteilung und den Verbrauch von Gütern und Dienstleistungen verbunden. Darüber hinaus informieren Preise über den Tauschwert des Geldes und seine Veränderungen, also über Inflation und Deflation.
Die Preisstatistik ist, neben der Bevölkerungsstatistik, einer der ältesten Teile der Wirtschaftsstatistik. Bereits die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Städte haben zum Beispiel die Getreidepreise sehr genau beobachtet, um ihre Versorgungspolitik danach auszurichten. Mit der im 19. Jahrhundert einsetzenden Industrialisierung und der damit verbundenen Ausbildung der Marktwirtschaft gewannen Preise eine immer größere Bedeutung für Wirtschaft und Gesellschaft. In der heutigen Zeit sind Preise ein zentraler Bestandteil der amtlichen Statistik, der von den statistischen Ämtern meist in Form von Preisindizes publiziert wird.
Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit der Konstruktion, Beschreibung und Analyse ausgewählter Preisreihen für Deutschland im Zeitraum von 1834 bis zur Gegenwart. Dabei wird sowohl auf die Preisstruktur wie auch auf die Preisentwicklung eingegangen. Ausführlich werden auch die Veränderungen des Tauschwertes des Geldes in den verschiedenen Epochen der deutschen Wirtschaftsgeschichte thematisiert. Die verwendeten Preisreihen wurden eigens für diesen Beitrag aufbereitet, wofür sowohl amtliche Daten als auch Forschungsdaten verwendet wurden. Die Gliederung ist wie folgt: Zunächst wird ganz allgemein auf Preise, die Preisstatistik und Preisindizes eingegangen. Daran anschließend werden die für diesen Beitrag aufbereiteten Preise bzw. Preisindizes kurz erläutert, um dann anhand dessen auf Preisentwicklung, Preisstruktur und die Kaufkraft des Geldes ausführlicher einzugehen.
Preise, Preisstatistik und Preisindizes
„Preis“ hat die Dimension „Geldeinheiten pro Mengeneinheit“, wobei die Benennung der Geldeinheiten vom jeweiligen Währungssystem abhängt und sich mit diesem verändert.1 Angesichts des nicht überschaubaren Preiskosmos einer Volkswirtschaft mit hunderttausenden von Waren und Dienstleistungen kommt die Preisstatistik nicht umhin, Preise nur für ausgewählte Güter kontinuierlich zu erheben und aus diesen Durchschnitte, Messzahlen und Indizes zu berechnen. Wichtige Aufgaben der Preisstatistik sind die Darstellung des Preisstandes, der Preisstruktur, der Preisentwicklung sowie die Messung der Kaufkraft des Geldes. Die Ermittlung der Kaufkraft des Geldes und ihrer Veränderung ist heute eine der wichtigsten Aufgaben der Preisstatistik. Hierbei spielen Preisindizes eine zentrale Rolle.
Preisindizes haben den Zweck, Durchschnittspreise ausgewählter Güter bzw. Gütergruppen zeitlich und regional vergleichbar zu machen. Grob vereinfachend kann man sagen, dass ein Preis-index eine Messzahl ist für den Durchschnittspreis eines Bündels von Gütern zu einem bestimmten Zeitpunkt im Verhältnis zum Durchschnittspreis dieses Güterbündels zu einem anderen Zeitpunkt. Wichtig ist zu beachten, dass die in den Index aufgenommenen Güterpreise gewichtet werden.2 Bei der Berechnung eines Preisindex ist also zu klären, für welche Güter Preise erfasst und zu welchen Gütergruppen die Preise zusammengefasst werden, mit welchem Gewicht die Durchschnittspreise in den Index eingehen und welcher Zeitpunkt der Basiszeitpunkt sein soll.
Konstruktion von langen Preisreihen und Preisindizes der Lebenshaltung
Die für diesen Beitrag konstruierten langen Reihen beschränken sich auf Konsumgüter, lassen also große Teile der amtlichen Preisstatistik unberücksichtigt. Die Beschränkung auf Konsumgüterpreise lässt sich mit dem großen Arbeitsaufwand rechtfertigen, der mit der Konstruktion solch langer Reihen verbunden ist, aber auch mit dem eingeschränkten Umfang, den der Beitrag beanspruchen darf. Für den Beitrag wurden Durchschnittspreise ausgewählter Konsumgüter, Indizes ausgewählter Produktgruppen von Konsumgütern sowie ein Preis-index für die Lebenshaltungskosten privater Haushalte für die Zeit von 1834 bis 2013 zusammengestellt. Ziel war es, ausgewählte Reihen der aktuellen Preisstatistik möglichst weit in die Geschichte zurück zu verlängern, ohne dass größere Lücken auftreten und ohne die zeitliche Vergleichbarkeit der Werte allzu sehr einzuschränken. Generell wird man sagen müssen, dass die einzelnen Werte gerade über längere Zeitspannen nicht voll vergleichbar sind, dass sie sich aber sehr wohl dafür eignen, langfristige Entwicklungstendenzen und damit einhergehende Strukturveränderungen quantitativ abzubilden und damit deren historische, theoretische und statistische Interpretation und Analyse zu ermöglichen.
Preisentwicklung und Preisstruktur
Obwohl die hier zusammengestellten Preise und Preisindizes ein breites Bündel von Konsumgütern repräsentieren, geben sie selbstverständlich kein umfassendes Bild der Preislandschaft in ihrer historischen Entwicklung. Auch geben sie keine Auskunft über die Preise auf den verschiedenen Wirtschaftsstufen Erzeugung, Handel und Außenhandel, da diese explizit aus der Analyse ausgeklammert wurden. Trotzdem erlauben die hier konstruierten Reihen wichtige Einblicke in die historische Preisentwicklung und die damit verbundene Preisstruktur für Konsumgüter: So geben die Durchschnittspreise Auskunft darüber, was ein bestimmtes Konsumgut im jeweiligen Jahr gekostet hat. Preisindizes verdeutlichen die Entwicklung der jeweiligen Gütergruppen im Zeitablauf, also etwa die Entwicklung der Preise für Nahrungsmittel, Bekleidung oder Wohnung. Da der Index der Verbraucherpreise (VPI) die gewichtete durchschnittliche Entwicklung aller Konsumgüterpreise darstellt, gibt er Auskunft über die Kaufkraft eines Haushaltseinkommens und damit auch über die Kaufkraft des Geldes. Setzt man Preise einzelner Konsumgüter in Relation zueinander, erhält man relative Preise, die über das Wertverhältnis der jeweiligen Konsumgüter Auskunft geben. Der Vergleich von Preisen bzw. Preisindizes im Zeitablauf dagegen gibt Auskunft über historisch unterschiedliche Preistendenzen. Dem Preisanstieg bestimmter Güter bzw. Gütergruppen steht unter Umständen der Preisverfall anderer Güter gegenüber. ► Abb 1
Betrachtet werden zunächst die Preise von acht ausgewählten Konsumgütern für die Zeit von 1834 bzw. 1850 bis 2002 in Abbildung 1 (alle Angaben in Euro).3 Langfristig weisen alle Reihen einen Anstieg auf. Die Konsumgüter sind also im betrachteten Zeitraum teurer geworden. So kostete beispielsweise ein Kilogramm Rindfleisch im Jahr 1834 0,33 Euro, während es 2002 6,30 Euro waren. Allerdings ist die Preisentwicklung innerhalb dieses Zeitraumes nicht bei allen Gütern gleich verlaufen. Der Preis für ein Kilogramm Zucker zum Beispiel ist von 1850 bis 1913 von 0,66 Euro auf 0,26 Euro gefallen und erst danach wieder angestiegen. Beim Bohnenkaffee zeigt sich dagegen bis 1913 ein Preisanstieg und nach 1950 ein Preisrückgang. Offensichtlich verläuft der Preisanstieg bei den einzelnen Konsumgütern ganz unterschiedlich. Es gibt längere Phasen des Preisanstiegs aber auch des Preisrückgangs, und es gibt ganz offensichtlich auch Phasen mit größeren und kleineren Preisveränderungen. Bei vielen Konsumgütern ist die Zeit nach 1950 mit einem verstärkten Preisanstieg verbunden. ► Tab 1, Tab 2, Tab 3
In einem nächsten Schritt wird die Preisbewegung für verschiedene Konsumgütergruppen analysiert. Dazu rücken aus den hier aufbereiteten Indizes zunächst diejenigen für Nahrungsmittel, Wohnung, Bekleidung und Verkehr in den Fokus.4 Zusätzlich werden die Durchschnittspreise für Roggenmehl bzw. -brot sowie der Verbraucherpreisindex (VPI) betrachtet. Die Reihen, die in Abbildung 2 eingezeichnet sind (1850 = 100), zeigen ganz unterschiedliche Entwicklungslinien. Die Preise für Nahrungsmittel sind am stärksten angestiegen. Bis zur Mitte der 1870er Jahre korrespondieren deren Schwankungen gut mit dem VPI.5 Ausschlaggebend für diese Schwankungen sind primär die Getreidepreise, wofür hier stellvertretend die Preise für Roggen(-brot) stehen, die noch bis 1913 starken Schwankungen unterlagen. Der Index für Wohnung weist nur einen leichten Anstieg auf, der Index für Bekleidung stagniert und der für Verkehr geht deutlich zurück. Auffallend ist der Rückgang der Indizes für Wohnung und Bekleidung im Zeitraum von etwa 1875 bis 1895. Diese Jahre markieren eine Epoche tendenziell fallender Preise und daher deflationäre Tendenzen. Allerdings kommen diese im Verbraucherpreisindex nicht zum Ausdruck, und auch bei den Nahrungsmittelpreisen ist der Rückgang nicht so deutlich ausgeprägt, wie beispielsweise bei der Bekleidung oder beim Verkehr. Man kann bei Nahrungsmitteln wie auch beim Verbraucherpreisindex für die Zeit von etwa 1870 bis 1890 eher von einer Stagnation als von einem Preisrückgang sprechen. ► Abb 2
Insgesamt zeigt sich, dass die Zeit von 1850 bis 1913 sowohl von steigenden wie auch fallenden Preisindizes gekennzeichnet ist, weshalb der säkulare Anstieg des Verbraucherpreisindex insgesamt moderat ausfällt. Zudem ist der Verbraucherpreisindex zumindest bis zur Mitte der 1870er Jahre stark von den Getreidepreisen dominiert, was Ausdruck dafür ist, dass wir es mit einer agrarisch dominierten Volkswirtschaft zu tun haben. Überdies sind bei zahlreichen Konsumgütern die Jahre von 1875 bis 1895 von fallenden Preisen gekennzeichnet, weshalb diese Epoche in der Literatur auch als „Große Depression“ bezeichnet wird. Darüber hinaus ist der Preisrückgang bei Gütern des Verkehrs sowie der Bekleidung auf ein zunehmendes Angebot an diesen Waren, verbunden mit einem sich immer stärker etablierenden technischen Fortschritt (Verbilligung der Produktion) zurückzuführen.
Ergänzend sind in Abbildung 2 die Indexwerte bis 1948 verlängert, wobei Werte für den Ersten Weltkrieg und die nachfolgende Inflationszeit hier nicht eingezeichnet sind. Auffallend ist der starke Anstieg in den 1920er Jahren, der tiefe Fall in der Weltwirtschaftskrise (grau hinterlegt) von 1929 bis 1933, ein erneuter, insgesamt aber moderater Anstieg in den Jahren des Nationalsozialismus, ein starker Einbruch nach 1945 sowie ein erneuter Anstieg, der mit der Währungsreform am 20. Juni 1948 verbunden ist. Diese hier ganz grob beschriebenen generellen Entwicklungstendenzen sollten nicht vergessen lassen, dass es sich bei diesem Zeitraum um eine in jeder Hinsicht außergewöhnliche Epoche handelt, die sich hinsichtlich der Preisentwicklung nur sehr eingeschränkt mit den Jahren davor und danach vergleichen lässt. ► Abb 2
Obwohl mit der Einführung der D-Mark eine Zeit stabiler Währungsverhältnisse begann, schwingen sich die hier konstruierten Indizes in den gut 60 Jahren von 1950 bis 2013 in ungeahnte Höhen auf und realisieren damit einen Preisanstieg, der langfristig alles in den Schatten stellt, was bis dahin zu beobachten war, sieht man einmal von den Jahren der Hyperinflation nach dem Ersten Weltkrieg ab. Die acht Indizes sind zusammen mit dem Verbraucherpreisindex in Abbildung 3 rechts eingezeichnet (1950 =100). Zum Vergleich sind dort links die bisher besprochenen Indexwerte für die Zeit bis 1948 dargestellt (1850 =100). Nach 1950 haben sich alle Indexwerte erhöht, am geringsten für Hausrat, am stärksten für Wohnung, gefolgt von Heizung und Beleuchtung. Bei diesen beiden Gütergruppen beträgt der Anstieg gegenüber 1950 etwa das Zehnfache. ► Abb 3
Auch der Verbraucherpreisindex ist in diesem Zeitraum gegenüber 1950 um etwa das Fünffache gestiegen. Vergleicht man damit die Entwicklung im gleich langen Zeitraum von 1850 bis 1913, so sind die Unterschiede offensichtlich. Den stärksten Anstieg verzeichneten dort die Nahrungsmittel. Sie sind gegenüber 1850 um etwas mehr als das Zweifache gestiegen. Nach 1950 steigen die Nahrungsmittelpreise zwar weiter an, aber nur um etwas mehr als das Vierfache, während die Preise für Wohnung, Heizung und Beleuchtung, wie bereits erwähnt, um mehr als das Zehnfache ansteigen. Damit ist ganz offensichtlich, dass heutzutage die Haushaltseinkommen nicht, wie noch im 19. Jahrhundert, vornehmlich durch steigende Nahrungsmittelpreise belastet sind, sondern in einem noch nie dagewesenen Ausmaß durch Ausgaben für die Wohnung (Miete, Strom, Wasser usw.). Berücksichtigt man zudem, dass auch die Preise für Verkehr seit 1950 übermäßig stark angestiegen sind, dann erkennt man, dass heutzutage die Ausgaben für Wohnung und für die meist beruflich bedingte Mobilität jene existenzbestimmende Rolle spielen, die über viele Jahrhunderte die Nahrungsmittelpreise, insbesondere die Getreidepreise, innehatten.
Zusammenfassend kann man sagen, dass die Jahre nach 1950 von einem historisch nie dagewesenen säkularen Preisanstieg gekennzeichnet sind, in dessen Verlauf sich auch die Struktur der Preise nachhaltig verändert hat. Betrachtet man die acht hier konstruierten Indexreihen, dann sind vor allem Wohnung, Heizung und Beleuchtung sowie Verkehr die größten Preistreiber, wobei sich hinter Heizung, Beleuchtung und Verkehr vor allem die steigenden Energiepreise verbergen. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist, dass die Preise gerade dieser Produktgruppen vor 1950 lange nicht beziehungsweise nicht nennenswert angestiegen sind. ► Tab 4
Bislang wurden hier Preisentwicklungen und Preisstrukturen anhand von Durchschnittspreisen ausgewählter Konsumgüter sowie anhand von Preisindizes bestimmter Konsumgütergruppen dargestellt. Die Entwicklung der Verbraucherpreise insgesamt wurden dabei zwar immer wieder zum Vergleich herangezogen, der Index selbst aber wurde bislang noch nicht eingehend analysiert. Das soll im Folgenden geschehen, wobei dieser Index vor allem als Maß für die Kaufkraft des Geldes angesehen wird und damit als Maß für Inflation und Deflation.
Verbraucherpreisindex und die Kaufkraft des Geldes
Betrachtet wird zunächst die Entwicklung des Index von 1834 bis 2013 in Abbildung 4 (1834 =100), ohne die Jahre 1922 und 1923. Bis zum Jahr 2013 steigt der Index auf 2 600 an. Gegenüber 1834 (=100) hat er sich also auf das 26-Fache erhöht, wobei allerdings das Ausmaß dieses Anstiegs nicht gleichmäßig auf die 179 Jahre verteilt war. Es dauerte nämlich bis 1980, also 147 Jahre, bis der Index die erste Hälfte des Anstiegs zurückgelegt hatte, wogegen er für die zweite Hälfte nur noch 33 Jahre benötigte. ► Abb 4
Die epochenspezifische Dynamik des Preisanstiegs zeigt sich deutlicher, wenn man anstelle der Absolutwerte deren Wachstumsraten, also die jährlichen Inflationsraten betrachtet, die in Abbildung 5 (wieder ohne die Jahre 1922 und 1923) dargestellt sind. Für den Gesamtzeitraum ergibt sich eine durchschnittliche jährliche Inflationsrate von knapp 2 Prozent (exakt: 1,95 Prozent, Median = 1,8 Prozent), ein Wert also, der nicht weit von dem entfernt ist, was die meisten Zentralbanken heute gerade noch als Preisstabilität akzeptieren. Bei einer genaueren Betrachtung zeigt sich aber, dass die jährlichen Werte teilweise nicht nur erheblich von diesem Mittelwert abweichen, deutlich zeigen sich auch unterschiedliche Epochen mit spezieller Inflationsdynamik, die neben zahlreichen anderen Einflüssen wohl auch den verschiedenen Währungen6 und den unterschiedlichen Indexberechnungen geschuldet sind. ► Abb 5
Eine erste Epochengrenze ergibt sich 1876 mit der Einführung der Reichswährung beziehungsweise 1881 mit dem Beginn des amtlichen vom Statistischen Bundesamt berechneten Ernährungsindex.7 Von 1834 bis 1880 ist der Index durch sehr starke sowohl positive wie auch negative jährliche Veränderungen gekennzeichnet. Ursache sind vor allem die starken, meist witterungsbedingten Schwankungen der Agrarpreise, die sich bei dem hohen Anteil der Ausgaben für Ernährung besonders stark im Preisindex niederschlagen. Insgesamt ist der Anstieg in diesen 47 Jahren jedoch moderat. Der Index steigt von 100 im Jahr 1834 auf 191 im Jahr 1880, was einer durchschnittlichen jährlichen Preissteigerungsrate von 1,8 Prozent entspricht.8
Ab 1881 stabilisiert sich das Preisniveau, die großen Ausschläge gehören der Vergangenheit an. Es ist die Phase, die als Eintritt Deutschlands in den Hochkapitalismus angesehen wird und in der die Währung auf dem Goldstandard basiert. Von 1900 bis 1912 dauert die erste längere Phase, in der die Preisveränderungen ausschließlich positiv sind. In den 33 Jahren von 1881 bis 1913 steigt der Index von 100 auf 135, wobei die jährliche Inflationsrate lediglich 0,9 Prozent beträgt.9
Der Beginn des Ersten Weltkrieges stellt eine weitere Epochengrenze dar. Mit der Aufhebung der Goldeinlösepflicht macht sich im Verlauf des Ersten Weltkriegs ein immer schnellerer Preisanstieg bemerkbar. Bis zum Kriegsende am 11. November 1918 (Waffenstillstand) ist der Index gegenüber 1913 um mehr als das Dreifache angestiegen (1834 =100, 1913 = 261, 1918 = 810; vgl. VPI für private Haushalte: 1834 =100, Tabelle 4). Auch nach Beendigung der Kriegshandlungen steigen die Preise weiter. Anfang 1922 beschleunigt sich der Preisanstieg dramatisch. Aus der galoppierenden Inflation wird 1923 eine Hyperinflation. Im Dezember 1923 hat der Index gegenüber 1913 (=100) einen Wert von 124,7 Billionen (in Ziffern: 124 700 000 000 000) erreicht. Reichsbanknoten mit astronomischen Nennwerten zeugen nicht nur vom Kaufkraftverfall der deutschen Währung, sondern vom Funktionsverlust des Geldes schlechthin. So sind die Jahre 1918 bis 1923 als „große Inflation“ in die deutsche Geschichte eingegangen. Sie entziehen sich einer normalen Interpretation des Preisverlaufs und haben auch deshalb im kollektiven Gedächtnis der Deutschen tiefe Spuren hinterlassen, die die Angst vor Inflation und Geldentwertung bis heute bestimmen.
Die Entwicklung des Index in der Periode von 1924 bis zur Währungsreform im Jahr 1948 ist uneinheitlich. Von 1924 bis zum Beginn der Weltwirtschaftskrise (Börsencrash am 24. Oktober 1929 in den USA) verzeichnet der Index einen Anstieg, der allerdings eher moderat ist. Von 1930 bis 1933 sinkt der Lebenshaltungskostenindex in vier aufeinanderfolgenden Jahren, weshalb hier die Preisveränderungsraten negativ sind. Der Preisverfall ist eine Folge der Weltwirtschaftskrise. Ab 1933 führte die nationalsozialistische Preispolitik vielfach zu einem Übergang von freien Marktpreisen zu staatlich festgesetzten Preisen. Von 1934 bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges erfolgte daher ein sehr moderater Preisanstieg, trotz der gigantischen Ausgaben des Reiches für Aufrüstung und Krieg, was primär auf die rigorose Preis- und Bewirtschaftungspolitik zurückzuführen ist. Man spricht hier auch von zurückgestauter Inflation. Mit Kriegsende war die Reichsmark praktisch wertlos, weshalb sich eine Naturaltauschwirtschaft (Schwarzmarkt) entwickelte. Die Veränderungsraten des Index bewegen sich von 1946 bis zur ersten Jahreshälfte von 1948 zwischen etwa 10 und 5 Prozent mit rückläufiger Tendenz. Nach Einführung der D-Mark am 20. Juni 1948
in den westlichen Besatzungszonen steigt der Index in der zweiten Jahreshälfte um 25 Prozent an. In den beiden Jahren nach der Währungsreform, also 1949 und 1950, geht der Index zurück.10
Auch die Periode nach 1948 lässt sich in mehrere Epochen aufteilen. Betrachtet man die Entwicklung des Index und seine Veränderungsraten, dann fällt zunächst auf, dass es in der Zeit von 1951 bis 2013 nur zweimal, nämlich 1953 und 1986, zu einem Rückgang des Index gekommen ist. Ein dauerhafter Anstieg der Preise scheint dagegen zur Normalität geworden zu sein. Besonders dramatisch war der Preisanstieg nach 1970 bis zu Beginn der 1980er Jahre, mit Inflationsraten von etwa 7 Prozent. Da in dieser Zeit auch das Wirtschaftswachstum zurückging und die Arbeitslosigkeit zunahm, spricht man in diesem Zusammenhang auch von „Stagflation“. Die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten hat den Preisauftrieb allenfalls kurzfristig beeinflusst. Die Inflationsraten sind nach 1993 stark rückläufig und bewegen sich seit 1994 zwischen 2,6 und 0,6 Prozent. Wenn neuerdings der Rückgang der Preissteigerungen von vielen mit dem Gespenst der Deflation in Verbindung gebracht wird, so sollte man dabei nicht übersehen, dass die Preissteigerungen der Gegenwart viel eher mit dem säkularen Mittelwert von etwa 2 Prozent und damit der langfristigen „Normalität“ übereinstimmen, als es die Jahre mit hoher Inflation tun.11
Datengrundlage
Grundlage der hier dargestellten Konsumgüterpreise ist eine Zusammenstellung des Statistischen Bundesamtes für 24 verschiedene Konsumgüter im Zeitraum von 1948 bis 2002.12 Für fünf Konsumgüter konnten die Preise bis 1834 und für weitere sechs bis 1850 zurück verlängert werden. Für Normalbenzin und extra leichtes Heizöl gelang die Fortschreibung der Preise bis 2013. Ergänzend wurde der Jahresdurchschnittspreis für OPEC-Rohöl von 1948 bis 2013 in die Tabelle aufgenommen. Der Zeitraum der anderen Konsumgüter entspricht der Tabelle des Bundesamtes. Alle Preise sind in Euro angegeben. Neben diesen Preisen für einzelne Konsumgüter wurden auch Preisindizes für Bedarfsgruppen von Konsumgütern konstruiert. Grundlage sind zurück bis 1950 Preisindizes des Statistischen Bundesamtes, davor, also von 1850 bis 1949, die Preisindizes aus dem Werk von Walther G. Hoffmann.13 Damit liegen für den Zeitraum von 1850 bis 2013 für acht Bedarfsgruppen Preisindizes vor. Zusätzlich zu den Durchschnittspreisen einzelner Konsumgüter und den Preisindizes ausgewählter Bedarfsgruppen wurde auch ein Preisindex für die Lebenshaltung für die Zeit von 1834 bis 2013 zusammengestellt. Für die Jahre von 1834 bis 1870 basiert der Index auf Berechnungen von Gömmel14 und für die Jahre von 1871 bis 1880 auf Kuczynski15. Beide Autoren haben versucht, repräsentative Indizes der Lebenshaltungskosten für das 19. Jahrhundert zu ermitteln. Ab 1881 basiert der Index auf Zahlen der amtlichen Statistik, die so verknüpft wurden, dass die Werte unseres Index von 1991 bis 2013 den offiziellen Werten des Statistischen Bundesamtes für den Verbraucherpreisindex (VPI) entsprechen. Dabei ist zu beachten, dass es sich um die Verknüpfung ganz unterschiedlich berechneter Lebenshaltungskostenindizes handelt.
Zum Weiterlesen empfohlen
- Wolfgang Brachinger: Der Euro als Teuro? Die wahrgenommene Inflation in Deutschland, in: Wirtschaft und Statistik, 9/2005, S. 999 –1013.
- Gerhard Fürst (Hrsg.): Messung der Kaufkraft des Geldes, Göttingen 1976.
- Hans-Jürgen Gerhard /Alexander Engel: Preisgeschichte der vorindustriellen Zeit. Ein Kompendium auf Basis ausgewählter Hamburger Materialien (= Studien zur Gewerbe- und Handelsgeschichte 26), Stuttgart 2006.
- Gerhard Heske: Preisstatistik. Grundlagen und Praxis der volkswirtschaftlichen Preisstatistik, München 1992.
- Klaus Lange: Eine Theorie der Preisstatistik – Preis, Preisrelation, Preisindex, Göttingen 1979.
- Alfred Jacobs: Preis (I) Preisgeschichte, in: Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, Bd. 8., Tübingen /Göttingen 1964, S. 459 – 476.
- Werner Neubauer: Preisstatistik, München 1996.
- Bernd Sprenger: Das Geld der Deutschen: Geldgeschichte Deutschlands von den Anfängen bis zur Gegenwart, 3. Aufl., Paderborn u.a. 2002. Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Preise auf einen Blick, Wiesbaden 2011.
Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz „CC BY-NC-ND 3.0 DE – Namensnennung – Nicht-kommerziell – Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland“ veröffentlicht. Quelle: Thomas Rahlf (Hg.), Deutschland in Daten. Zeitreihen zur Historischen Statistik, 2. Auflage, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2022.
Anmerkungen
- Preisangaben unterschiedlicher Währungssysteme sind nicht direkt miteinander vergleichbar, sie müssen erst in ein bestimmtes Währungssystem umgerechnet werden.
- Bei der Gewichtung geht es darum, dass die Güterpreise bei der Indexberechnung mit einem Faktor multipliziert werden, der der Bedeutung dieser Güter im Warenkorb des Haushalts entspricht, wobei sich die Gewichte zu 1 addieren.
- Für die besonders dramatischen Preisveränderungen während und unmittelbar nach den beiden Weltkriegen enthalten die Preiskurven in Abbildung 1 keine Werte. Sie würden das Gesamtbild verzerren.
- Die Indizes für Ernährung, Wohnung und Bekleidung reichen, neben Hausrat und Beleuchtung, am weitesten in die Geschichte zurück. Für Ernährung reichen die amtlichen Werte bis 1881 und für die beiden anderen Produktgruppen bis 1924 zurück.
- Ab 1881 repräsentiert der VPI einen Preisindex für Ernährung. Dass die Werte des VPI nicht mit dem hier verwendeten Index für Nahrungsmittel übereinstimmen, liegt an den unterschiedlichen Berechnungsweisen. Der Preisindex für Ernährung wurde vom Statistischen Bundesamt und der Preisindex für Nahrungsmittel von Walther G. Hoffmann: Das Wachstum der deutschen Wirtschaft seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, Berlin u. a. 1965 zusammengestellt.
- In den 179 Jahren, die der Untersuchungszeitraum dieser Studie abdeckt, gab es folgende Währungen: 1834 bis 1875 Taler- und Guldenwährung; 1876 bis 1914 (Gold-)Mark; 1914 bis 1923 Mark ohne Golddeckung; 1923 Rentenmark; 1924 bis 1948 Reichsmark (Goldkernwährung), ab 1924 bestanden Reichsmark und Rentenmark nebeneinander; 1948 bis März 1973 D-Mark auf der Basis fester Wechselkurse (Bretton-Woods-System); 1973 bis 2002 D-Mark (flexible Wechselkurse); ab 2002 Euro. Neben diesen Währungsumstellungen haben sich auch Art und Beschaffenheit des Geldes grundlegend verändert. Während man sich über viele Jahrzehnte ein wertstabiles Geld ohne die Bindung an Edelmetalle überhaupt nicht vorstellen konnte, ist das heutige Geld lediglich noch Fiatgeld, also Geld ohne intrinsischen Wert, im Gegensatz zum Warengeld.
- Vor dem Ersten Weltkrieg ist ein kontinuierlicher Lebenshaltungsindex von den damaligen statistischen Ämtern nicht ermittelt worden. Aus diesem Grund hat das Statistische Bundesamt im Jahr (1958) für die Zeit von 1881 bis 1913 aus Aufzeichnungen privater Autoren einen Preisindex für die Ernährung (1913 =100) berechnet. Dabei handelt es sich um den Durchschnitt aus 10 Indexziffern, die aus Einzelhandelspreisen für etwa 10 bis 20 Lebensmittel errechnet wurden. Die Unterlagen beziehen sich zum Teil auf das Deutsche Reich, zum Teil auf einzelne Bundesstaaten bzw. Städte.
- Median = 1,3 Prozent; Mittelwert = 1,8 Prozent; Minimum = – 23 Prozent; Maximum = + 22 Prozent.
- Mittelwert = 0,9 Prozent; Median = 1,1 Prozent; Minimum = – 3,7 Prozent; Maximum = + 6,3 Prozent.
- Für den Gesamtzeitraum, also von 1924 bis 1948, ergeben sich folgende Werte: Mittelwert = 2,2 Prozent, Median = 1,8 Prozent, Minimum = – 11,4 Prozent, Maximum = + 25 Prozent.
- Von 1834 bis 2013 beträgt das arithmetische Mittel des jährlichen Preisanstiegs 1,95 Prozent, der Median 1,8 Prozent, wobei in 103 von 167 Jahren die Inflationsrate im Bereich von 0 bis 5 Prozent liegt.
- Statistisches Bundesamt: Preise. Preise ausgewählter Güter. 1948 – 2002, Wiesbaden (7.3.2013). Die Preise wurden vom Statistischen Bundesamt als Zwischenergebnis für die Berechnung von Verbraucherpreisindizes verwendet. Nach 2002 hat das Statistische Bundesamt diese Preisstatistik nicht weitergeführt. Wir danken Herrn Thomas Krämer vom Statistischen Bundesamt für die freundliche Überlassung des Preismaterials.
- Hoffmann (Anm. 5).
- Rainer Gömmel: Realeinkommen in Deutschland. Ein internationaler Vergleich (1810 –1914). Vorträge zur Wirtschaftsgeschichte, Heft 4 (Hrsg.: H. Kellenbenz/ J. Schneider), Nürnberg 1979.
- Jürgen Kuczynski: Die Geschichte der Lage der Arbeiter unter dem Kapitalismus, Bd. 3, Berlin (Ost) 1962; zitiert nach Bernd Sprenger: Das Geld der Deutschen. Geldgeschichte Deutschlands von den Anfängen bis zur Gegenwart, Paderborn u. a. 2002, S. 190.