19 Bauen und Wohnen

Günther Schulz

Bauen und Wohnen dienen grundlegenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Versorgungsfunktionen. Zugleich sind sie durch individuelle Wünsche, politische, staatliche Ziele und wirtschaftliche Interessen bestimmt. Diese Kräfte wirkten und wirken in den jeweiligen Epochen unterschiedlich zusammen. Die Analyse dieses Zusammenspiels eröffnet den Blick auf wichtige gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Entwicklungen der modernen Gesellschaft.

Einordnung und begriffliche Klärungen

Wohnen ist ein Grundbedürfnis des Menschen und zugleich ein Bereich, um sich gesellschaftlich darzustellen, zu integrieren oder abzugrenzen. Die Bauwirtschaft ist eine „Lokomotive der Gesamtwirtschaft“: eine Schlüsselbranche, von der viele Wirkungen auf andere Bereiche ausgehen. Bauen und Wohnen richten sich auf die Gestaltung von Gegenwart und Zukunft – in persönlicher wie gesellschaftlicher, politischer, volks-, einzelwirtschaftlicher, kultureller, räumlicher und ästhetischer Hinsicht. Sie sind zugleich von den vorhandenen Traditionen und Ressourcen auf diesen Feldern geprägt und zum Teil begrenzt.
Das Gut „Wohnung“ besteht aus einem oder mehreren Räumen, die für den dauerhaften Aufenthalt von Menschen bestimmt und geeignet sind, die dafür erforderlichen Grundfunktionen gewährleisten, insbesondere eine Küche haben, und in der Regel räumlich abgeschlossen sind. Es weist als Besonderheiten auf, dass es von jedermann benötigt wird und nicht substituierbar ist; es ist immobil, heterogen, seine Herstellung zeitraubender und teurer und seine Nutzungsdauer im Allgemeinen länger als diejenige fast aller anderen Gebrauchsgüter. Ferner orientieren sich Bauherren bzw. Bewohner nicht nur an den Kriterien der eigenen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, des finanziellen Ertrags, an ihren familiären und beruflichen Bedürfnissen, sondern auch an Überlegungen bezüglich sozialem Status, Prestige und wirtschaftlich-sozialer Sicherheit.
Bei Wohnungen wird zwischen der Wohn- und der Rechtsform unterschieden. Die Wohnform kann die Kleinsiedlung sein (ein Begriff für ein Wohnhaus mit Landzulage und Stall bzw. Wirtschaftsteil), das freistehende sowie das Reihen-Einfamilienhaus, die Einliegerwohnung und die Wohnung im Mehrfamilienhaus. Bei der Rechtsform unterscheidet man zwischen Wohnen im Eigentum, zur Miete oder in Sonderformen wie dem Dauer- bzw. dem genossenschaftlichen Wohnrecht.
Wohnungspolitik bezeichnet im engeren Sinne die Summe derjenigen meist staatlichen Maßnahmen, die mit Blick auf politisch definierte Ziele der quantitativen und qualitativen Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum dienen. Im weiteren Sinne wird auch die Siedlungs- und Stadtumwelt einbezogen. Wohnungspolitik gliedert sich in die Bau- und die Bestandspolitik. Die erstere umfasst alle Maßnahmen, die sich auf den Neubau richten. Ihre Mittel sind weit gespannt. Sie umfassen die Bodenpolitik ebenso wie ein vielfältiges Instrumentarium öffentlicher Subventionen: Kapital- bzw. Zinssubventionen, Abschreibungen bzw. Steuervergünstigungen. Die Bestandspolitik richtet sich auf den vorhandenen Wohnraum und gliedert sich in die Mietrechts-, Mietpreisrechtspolitik sowie die öffentliche Wohnraumbewirtschaftung (beispielsweise Festlegung des Mietpreises durch die öffentliche Hand, Einweisung von Mietern in Wohnungen, die aufgrund staatlicher Förderung entsprechende Belegungsbindung haben, oder nach Kriegen, Umweltkatastrophen etc.).
An die Politik werden vielfältige Ansprüche bezüglich der Versorgung mit gutem und preiswertem Wohnraum gestellt, und es gibt zahlreiche Wechselwirkungen mit angrenzenden Politikfeldern, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und künstlerischen Gebieten, zum Beispiel der Boden-, Städtebau-, Siedlungs-, Raumordnungs- und Verkehrs-, Umwelt- und Energiepolitik, der Steuer-, Eigentums-, Vermögens-, Konjunktur- und allgemeinen Wirtschaftspolitik sowie dem Kapital-, Arbeits-, Baustoffmarkt und nicht zuletzt der Architektur.
Mit dem Wohnungsbau konkurrieren weitere Bereiche um Ressourcen: der Wirtschaftsbau – die Errichtung von gewerblichen Anlagen, Fabriken, Büros, Läden usw. – sowie der öffentliche Bau: die Errichtung von Schulen, Rat- und Krankenhäusern, Theatern und Bädern etc. ► Tab 1

Historische Entwicklungslinien

Die Wohnverhältnisse im 19. Jahrhundert waren weitgehend liberal geprägt.1 Die öffentliche Hand beschränkte sich im Wesentlichen auf Vorgaben für Bausicherheit und Feuerschutz (siehe das preußische Fluchtliniengesetz von 1875) und griff sozialpolitisch kaum ein. Aufgrund des starken Wachstums der Bevölkerung sowie ihrer Zusammenballung in gewerblichindustriellen Zentren kam es zu einem Bauboom, es entstanden Bodenspekulation, Armutsviertel und Elendswohnungen. Das führte dazu, dass die Armen- und Arbeiterfrage im Gefolge der Industrialisierung zugleich auch zur Wohnungsfrage wurde. In den rasch wachsenden Industriezentren kam es zu fortschreitender Segregation: auf der einen Seite adeliges und großbürgerliches Wohnen – Stichworte sind Stadtpalais und bürgerliche Villa mit Vorbildwirkung, auch bezüglich Aufteilung und Ausstattung im Inneren mit Repräsentationsräumen und „gutbürgerlichem“ Wohnzimmer –, auf der anderen Seite Wohnungselend, wie es sich insbesondere in überalterten, heruntergekommenen Stadtvierteln zeigte, aber auch in der Mietskaserne. Beispiele sind der Berliner Wedding und das Hamburger „Gängeviertel“. In den Brennpunkten entwickelten sich spezifische proletarische Wohnformen („Schlafgängerwesen“, halboffene Gesellschaft). Angesichts fehlender sozialer Sicherheit („Kahlpfändung“) entzogen sich Mieter nicht selten durch raschen Umzug der Mietzahlung. An den Problemen entzündete sich Sozialkritik, beispielsweise von Armenärzten, die Untersuchungen über die Wohnverhältnisse in sozialen Brennpunkten initiierten. Ferner führten die Missstände zur Formierung der Bodenreformbewegung mit dem Ziel, den Boden umzuverteilen und „unverdienten“ Bodenwertgewinn abzuschöpfen, sowie zur Gartenstadt2 und zur Wohnreformbewegung3.
Die Situation änderte sich mit dem Ende der Monarchie in Deutschland und dem Übergang zur demokratischen Massengesellschaft am Ende des Ersten Weltkriegs, als etwa eine Million Wohnungen aufgrund von Mangel und Baustillstand im Weltkrieg fehlten und die Wohnungsfrage zu einem kardinalen Thema der Gesellschaftspolitik wurde: für den Staat ein Mittel zur gesellschaftlichen Stabilisierung, für die Parteien ein Instrument der Klientelbindung.4 Die Weimarer Zeit wurde zum Wendepunkt hinsichtlich von Interventionen ins Wohnungswesen. Nun griff der Staat einerseits in Fortsetzung kriegswirtschaftlicher Maßnahmen stark lenkend ein, mit verschärftem Mieterschutz, massiver Mietpreisbegrenzung und fortgeführter, wenngleich gelockerter öffentlicher Wohnraumbewirtschaftung. Andererseits finanzierte er umfangreich den Neubau nach der Währungsreform 1923 mithilfe einer „Geldentwertungsausgleichssteuer auf die bebauten Grundstücke“ (in Preußen: „Hauszinssteuer“). Diese Mittel flossen in erheblichem Umfang an gewerkschaftliche, verbandliche und kommunale Träger. Der Werkswohnungsbau hingegen wurde ausgeschlossen. Mit diesen Mitteln kam es zu umfangreicher Neubautätigkeit, bei der die jeweiligen Träger die ihnen politisch angemessen erscheinenden Siedlungsformen realisierten. Beispielsweise errichtete die Linke vornehmlich Siedlungen des Neuen Bauens, mit den Merkmalen Einheitlichkeit, Gleichheit, Kubus und Flachdach; nationale und konservative Kräfte hingegen konzentrierten sich auf konventionelle Formen: architektonische Unterschiedlichkeit, Satteldach und Sprossenfenster. Politische Programmatik verband sich mit konzeptionell-ästhetischem Ausdruck.
In der Weltwirtschaftskrise brach der Wohnungsbau stark ein. Die öffentliche Förderung kam zum Erliegen, es dominierten Selbst- und Nachbarschaftshilfe. Der Nationalsozialismus benutzte den Wohnungsbau für seine Ziele, entwickelte freilich keine grundlegend neuen Konzepte.5 Er griff Vorstellungen der ländlichen Siedlung auf, wie sie schon in der Weimarer Zeit erprobt worden waren, und förderte sie besonders, desgleichen den Bau von Einfamilienhäusern und Kleinsiedlungen. Er stellte das Wohnungswesen in den Dienst agrarromantischer (Kleinsiedlung, Ostsiedlung) und großstadtfeindlicher Vorstellungen, war aber zwischen Agrarromantik und industriellem Massenwohnungsbau gespalten. Im Rahmen von Kriegsvorbereitung und Ressourcenverknappung intensivierte der nationalsozialistische Staat die öffentliche Wohnraumbewirtschaftung bzw. Wohnungszwangswirtschaft. 1936 fror er die Wohnungsmieten ein.6
Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Wohnungsnot größer als je zuvor. 1950 gab es in der Bundesrepublik 15,4 Millionen Haushalte, doch nur 10,1 Millionen Wohnungen. Die Jahre 1945 bis 1949 waren ein Schwebezustand: gravierende Unterversorgung mit Wohnraum, vor allem in den Städten und industriellen Zentren; umfangreiche Wanderungen bzw. Bevölkerungsverschiebungen; starke Bewirtschaftung; Instandsetzungen, doch noch kaum Neubau; Unsicherheit, wie lange die Wohnungsnot andauern würde und mit welchen Leitbildern und Mitteln sie zu überwinden sei.7
Seit 1949 gingen die beiden deutschen Staaten getrennte Wege. In der Bundesrepublik setzte die bürgerliche Koalition aus CDU/CSU, FDP und DP auf Mobilisierung aller Kräfte unter staatlicher Rahmengebung und Förderung: Dies umfasste erstens den öffentlich geförderten Sozialen Wohnungsbau mit Einsatz staatlicher Mittel, Beschränkung der Wohnungsgröße auf 32 bis 64 Quadratmeter und der Miethöhe auf maximal 1,10 D-Mark/Quadratmeter (= 0,56 Euro; in Großstädten) sowie der Vergabe an Mieter unterhalb bestimmter Einkommensgrenzen. Zweitens den steuerbegünstigten Wohnungsbau, der Steuervergünstigungen, aber keine öffentlichen Förderungsmittel erhielt; die Wohnungen durften 80 bis – für Kinderreiche – 120 Quadratmeter groß sein; es galt die Kostenmiete. Drittens den freifinanzierten Wohnungsbau ohne öffentliche Mittel und Beschränkungen.8 Man setzte auf Objektförderung, bei der sich die Subventionierung nur an der Einhaltung politischer Vorgaben wie der Beschränkung der Wohnfläche und der Miethöhe orientierte, nicht aber an der finanziellen Lage der Bauherren. Allmählich wurde dies ergänzt durch Subjektförderung in Form von Mietbeihilfen bzw. Wohngeld, um nicht marktfähige Nachfrage marktfähig zu machen.
In der DDR setzte die sozialistische Regierung immer stärker auf den Wohnungsbau von Genossenschaften und Staatsbetrieben mit niedrigen Mieten und öffentlicher Bewirtschaftung sowie auf Vergesellschaftung des Wohnraums („Dieses Haus gehört dem Volke“). Die eingefrorenen Mietpreise bestanden von der nationalsozialistischen Zeit bis zum Zusammenbruch der DDR fort. Das System nicht kostendeckender Mieten erstickte den gewerblichen Wohnungsbau und zog den Verfall des Wohnungsbestandes nach sich. Im Wohnungsbau überlebte, wenn man es typisiert, neben dem staatlichen und genossenschaftlichen Wohnungsbau nur derjenige für die Selbstversorgung.
Beide deutsche Staaten erlebten seit ihrer Gründung einen Bauboom9 – in der DDR staatlich induziert, in der Bundesrepublik durch die Mobilisierung aller wirtschaftlich-gesellschaftlichen Kräfte mit Förderung durch die öffentliche Hand. Am Höhepunkt des Booms im Jahr 1964 wurden etwa 624 000 Wohnungen (brutto) errichtet und damit mehr als je zuvor in der deutschen Geschichte – in den besten Jahren der Weimarer Republik waren es für Gesamtdeutschland etwa 338 802 gewesen (1929).10 Auch bezogen auf die Einwohnerzahl stiegen die Fertigstellungen und erreichten in der Bundesrepublik Spitzenwerte. ► Tab 2, Abb 1

Parallel zur Überwindung der Unterversorgung reduzierte die Bundesrepublik die staatlichen Eingriffe ins Wohnungswesen. Das Erste Wohnungsbaugesetz von 1950 war ein additiver Kompromiss, der, um die Wohnungsnot zu überwinden, allen Bauherrengruppen Anreize bzw. Entfaltungsmöglichkeit bot. Das Zweite Wohnungsbaugesetz von 1956 („Wohnungsbau- und Familienheimgesetz“) war der Versuch, das Eigen- bzw. Familienheim aus politisch-weltanschaulichen Gründen gegen den Mietwohnungsbau stärker durchzusetzen. Das „Gesetz über den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft und über ein soziales Miet- und Wohnrecht“ 1960 überführte das Wohnungswesen in die Marktwirtschaft unter gleichzeitiger Einbindung in Sozialrechtsklauseln (Kündigungsschutz; Kündigung nur bei Eigenbedarf). Parallel zu der frühen, vornehmlich auf privatwirtschaftliche Anreize setzenden Politik vollzogen sich Entwicklungen wie der Bedeutungsgewinn der gewerkschaftlichen „Neuen Heimat“, die von der Wohnungspolitik profitierte, ohne dass diese Konzentration von der Regierung intendiert war. Die Wohnungsgemeinnützigkeit – und damit der erwünschte Verzicht auf kapitalistische Rendite bzw. Spekulationsgewinn – gewann an Bedeutung, damit zugleich aber auch die – unerwünschte – Akkumulation von Wohnungsbeständen in Händen einzelner Anbieter. Im Falle der gewerkschaftlichen „Neuen Heimat“ wirkten mehrere Faktoren zusammen,11 nach ihrem spektakulären Zusammenbruch kam es 1988 zum Ende der Wohnungsgemeinnützigkeit.
Eine weitere Entwicklungsphase war die verstärkte Einbindung des Wohnungswesens in die Stadtplanung unter den Gesichtspunkten der Gliederung nach Funktionen (wohnen, arbeiten, sich erholen, sich bewegen) gemäß dem Leitbild der „Charta von Athen“ (1933). Diese wurde in Deutschland nach der unmittelbaren Wiederaufbauzeit (1945/48 bis etwa 1955) unter dem Leitbild der „gegliederten und aufgelockerten Stadt“ rezipiert (1955 bis etwa 1970).12 Es folgten die dezidierte Städtebauförderung und die Propagierung der „verkehrsgerechten Stadt“. Nach dem Ende des Baubooms gewannen die Erhaltung und Sanierung des Bestandes immer mehr an Bedeutung, ferner Gesichtspunkte der Umwelt-, Alters-, Familiengerechtigkeit und zuletzt der Energieeinsparung. Der Versorgungsgrad der Bevölkerung mit Wohnungen ist inzwischen hoch, derjenige einkommensschwacher Nachfrager freilich nach wie vor unbefriedigend. ► Abb 2

Obwohl die Ausgaben für Miete und Nebenkosten gestiegen sind, verfügen die Deutschen derzeit über mehr Wohnfläche pro Person als je zuvor. Ursachen sind neben gewachsenen Ansprüchen an die Wohnqualität und gestiegenem Wohlstand auch der Rückgang der Kinderzahl und zunehmende Überalterung. ► Tab 3, Abb 3

Bestimmungsfaktoren des Wohnungswesens

Bauen und Wohnen werden im Wesentlichen von den vorgelagerten Bodenmärkten, den Gegebenheiten der Bauwirtschaft, den Kapitalverhältnissen und der Beschaffenheit der Nachfrage bestimmt. Da der Boden immobil, nicht vermehrbar und nicht reproduzierbar ist, ist die Verfügbarkeit bzw. der Ausweis von Bauland wichtig. Von der Gesamtfläche der alten und neuen Bundesländer wurden 1989/90 rund 11,5 Prozent als Siedlungs- und Verkehrsfläche genutzt, 55 Prozent waren landwirtschaftliche, 29 Prozent Wald, 2 Prozent Wasser und 2,5 Prozent sonstige Fläche. Die Preise für baureifes Land stiegen beispielsweise 1980 bis 1992 von umgerechnet 42 auf 64 Euro/Quadratmeter – ein Anstieg um 52 Prozent. Im selben Zeitraum stieg der Preisindex für Wohngebäude um 50, der Lebenshaltungskostenindex um 39 Prozent.13 Die Kommunen haben vielfältige Möglichkeiten, die Menge des verfügbaren Baulandes und die Baulandpreise zu beeinflussen, beispielsweise durch Erschließung und Vorratspolitik. ► Abb 4

Es kennzeichnet die Bauwirtschaft, dass sie nicht auf Vorrat baut, sondern als „Bereitschaftsindustrie“ Kapazitäten für Aufträge vorhalten muss, sodass sie starken Auftragsschwankungen unterliegt und individuelle Leistungen erbringt. Ihre wichtigsten bestimmenden Faktoren sind die Baustoffpreise, die Arbeits- sowie weitere Kosten, zum Beispiel für Ausrüstung, in jüngerer Zeit auch für Umweltschutz. Versuche zur Rationalisierung und Industrialisierung der Bautätigkeit, zum Beispiel durch Fertigteilbau, gab es schon früh, sie waren aber, anders als die technische Normung, nie sonderlich erfolgreich. Dazu trug neben der vielfach individuell geprägten Nachfrage insbesondere die kleinbetriebliche Struktur bei. Sieht man vom Plattenbau in der DDR ab, dominierte stets der traditionelle, regional gebundene kleinbetriebliche Baubetrieb. In Deutschland gab es 1993 im Hochbau 19 903 traditionelle Handwerks- und Industriebetriebe, davon hatten 15 270 maximal 19, nur 113 mehr als 200 Mitarbeiter. Demgegenüber gab es nur 538 Hochbau-Fertigteilbetriebe.14
Auf dem Kapitalmarkt wirken zahlreiche Faktoren: neben den vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten der Eigenfinanzierung (auch über Bausparen, Arbeitgeber-, Verwandten-, Mieterdarlehen etc.), der (kurz-, mittel-, langfristige) Zins sowie die überaus vielfältigen, differenzierten Möglichkeiten der öffentlichen Hand zur Steuerung und Subventionierung. ► Tab 4

Die Nachfrage wird in erster Linie durch die demografische Entwicklung und die Zusammensetzung der Bevölkerung bestimmt (u.a. Einheimische/Fremde bzw. Migranten; Altersgruppen/Gentrifikation, Ein-/Mehrpersonenhaushalte), ferner durch den Zustand des Wohnungsmarktes als inhomogener, unvollkommener Markt. Ihn prägen unter anderem Alter, Qualität, Lage und Mietpreis der Wohnungen und natürlich die Vorgaben der öffentlichen Hand. Zwischen den Teilmärkten bestehen zahlreiche Interdependenzen. Hier sind unter anderem Filtering-Prozesse zu nennen. „Filtering-down“ bedeutet, dass bei ausbleibender oder unzulänglicher Sanierung und Modernisierung die Wohnungen an Qualität verlieren und für weniger leistungsfähige Bevölkerungsschichten interessant werden; umgekehrt spricht man von „Filtering-up“. Außerdem sind Sickerprozesse („Trickle-down-Effekte“) zu nennen, bei denen besser verdienende Haushalte in höherwertige Wohnungen ziehen und damit die bisher benutzten für einkommensschwache Nachfrage frei machen, sowie Arbitrage-Prozesse, bei denen Einfluss von Nachbarschaft, Wohnquartier und Wohnumfeld ausgeht.

Datengrundlage

Aufgrund der territorialen Zersplitterung Deutschlands und damit auch der nur geringen administrativen Möglichkeiten, Bauen und Wohnen valide zu quantifizieren, gibt es für die Zeit seit dem frühen 19. Jahrhundert bislang keine konsistenten langen Reihen zu diesem Bereich. Zudem variieren die Definition und damit auch die Bestimmung und Erfassung der Objekte, indem Statistiken zum Beispiel Wohnungen mitunter nur in Wohn-, mitunter auch in Nichtwohngebäuden erfassen, ferner Neubau ein- bzw. ausschließlich von Wiederaufbau, Instandsetzung etc. Zudem ist die Nutzung von Räumen zu Wohn- oder zu Gewerbezwecken häufig fließend und überhaupt die statistische Erfassung der Wohnung als inhomogenes Gut nicht einfach. Ferner wurden im Laufe der Zeit in den Erhebungen bzw. von den Statistischen Ämtern Angaben immer wieder neu zugeordnet, umbasiert bzw. neu berechnet und nicht zuletzt gelegentlich aus politischen Gründen „geschönt“, sodass die überlieferten Daten oft voneinander abweichen. Deshalb sind auf dem Feld von Bauen und Wohnen mehr noch als auf vielen anderen Gebieten die sachliche Zuordnung im Detail und die definitorische Nuance von großer Bedeutung.
Vor Beginn der zentralen amtlichen Statistik wurden die meisten quantifizierenden Zusammenstellungen von Ärzten, Sozialreformern und anderen Privatleuten aus sozialen Motiven und für sozialpolitische Zwecke vorgenommen. Ferner gibt es schon recht früh umfassendes, aber regional begrenztes Zahlenmaterial über Bau- und Wohnverhältnisse, beispielsweise in den Berichten der Landräte an die preußische Regierung Mitte des 19. Jahrhunderts, ferner in einzelnen Brennpunkten der Wohnungsnot in der Hochindustrialisierung. Insgesamt ist das Zahlenmaterial für das 19. Jahrhundert umfangreich, regional zersplittert und disparat.
Mit Einsetzen der amtlichen Statistik in den deutschen Staaten und vor allem nach Gründung des Deutschen Reiches und des Kaiserlichen Statistischen Amtes werden die Zählungen umfassender und die Zahlen gesicherter. Je näher man zur Gegenwart kommt, desto elaborierter und valider wird das Material. In der Statistik der Bundesrepublik Deutschland finden sich regelmäßig Erhebungen über den Wohnungsbestand, ähnlich in der Statistik der DDR.
Das Statistische Bundesamt hat auch Überblicksdarstellungen mit Material zu Bauen und Wohnen publiziert.15 Ferner publiziert das Wohnungsbauministerium des Bundes (wechselnde Bezeichnungen) seit 1951 Statistiken im Bundesbaublatt.16 Seit Gründung der Bundesrepublik gibt das Statistische Bundesamt die Reihe „Wirtschaft und Statistik“ mit auch für Wohnen und Bauen relevanten Daten heraus.17
Daneben gibt es eine reichhaltige Publikationstätigkeit der Verbände, beispielsweise der Landesbausparkassen mit „Markt für Wohnimmobilien“. Dort werden wichtige Daten und Fakten zum deutschen Wohnimmobilienmarkt, zur aktuellen Bautätigkeit, zu Wohnungsbestand, Finanzierung und Wohneigentumsbildung publiziert. Zudem gibt es die Jahresberichte der Bundesgeschäftsstelle Landesbausparkassen.18 Des Weiteren sind zu nennen die Jahresberichte der Geschäftsstelle Öffentliche Bausparkassen.19
Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie publiziert das Baustatistische Jahrbuch20, und der Zentralverband Deutsches Baugewerbe gibt die Publikation „Baumarkt: Ergebnisse, Entwicklungen, Tendenzen“ heraus.21
Auf der Ebene der amtlichen Statistik der Europäischen Union beinhaltet die Online-Datenbank von Eurostat auch Daten zur Entwicklung des Baugewerbes. Die Daten werden jeweils aktuell aufbereitet.22

Zum Weiterlesen empfohlen

  • Hansjörg F. Buck: Mit hohem Anspruch gescheitert – die Wohnungspolitik der DDR, Münster 2004.
  • Karl Christian Führer: Mieter, Hausbesitzer, Staat und Wohnungsmarkt. Wohnungsmangel und Wohnungszwangswirtschaft in Deutschland 1914 –1960, Stuttgart 1995.
  • Helmut W. Jenkis (Hrsg.): Kompendium der Wohnungswirtschaft, 4. Aufl., München/Wien 2001.
  • Adelheid von Saldern: Häuserleben. Zur Geschichte städtischen Arbeiterwohnens vom Kaiserreich bis heute, Bonn 1995.
  • Günther Schulz: Wiederaufbau in Deutschland. Die Wohnungsbaupolitik in den Westzonen und der Bundesrepublik Deutschland von 1945 bis 1957, Düsseldorf 1994.
  • Günter Schulz (Hrsg.): Wohnungspolitik im Sozialstaat. Deutsche und europäische Lösungen 1918 –1960, Düsseldorf 1993.
  • Thomas Wellenreuther: Wohnungsbau und Industrialisierung. Eine ökonometrische Untersuchung am Beispiel Deutschlands von 1850 bis 1913, Köln 1989.
  • Wüstenrot Stiftung Deutscher Eigenheimverein e.V.: Geschichte des Wohnens, 5 Bände, insbesondere Band 3: 1800 –1918 – Das Bürgerliche Zeitalter, hrsg. von Jürgen Reulecke; Band 4: 1918 –1945 – Reform, Reaktion, Zerstörung, hrsg. von Gerd Kähler; Band 5: 1945 bis heute – Aufbau, Neubau, Umbau, hrsg. von Ingeborg Flagge, Stuttgart 1997, 1996, 1999.

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz „CC BY-NC-ND 3.0 DE – Namensnennung – Nicht-kommerziell – Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland“ veröffentlicht. Quelle: Thomas Rahlf (Hg.), Deutschland in Daten. Zeitreihen zur Historischen Statistik, 2. Auflage, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2022.

Anmerkungen

  1. Siehe dazu Hans Jürgen Teuteberg/Clemens Wischermann: Wohnalltag in Deutschland 1850 –1914. Bilder-Daten-Dokumente, Münster 1985.
  2. Kristiana Hartmann: Deutsche Gartenstadtbewegung. Kulturpolitik und Gesellschaftsreform, München 1976.
  3. 3 Clemens Zimmermann: Von der Wohnungsfrage zur Wohnungspolitik. Die Reformbewegung in Deutschland 1845 –1914, Göttingen 1991.
  4. Hauptentwicklungen bei Günther Schulz: Kontinuitäten und Brüche in der Wohnungspolitik von der Weimarer Zeit bis zur Bundesrepublik, in: Hans Jürgen Teuteberg (Hrsg.): Stadtwachstum, Industrialisierung, Sozialer Wandel. Beiträge zur Erforschung der Urbanisierung im 19. und 20. Jahrhundert, Berlin 1986, S. 135 –173.
  5. Für die NS-Nachkriegsplanungen siehe Tilman Harlander/ Gerhard Fehl (Hrsg.): Hitlers Sozialer Wohnungsbau 1940 –1945. Wohnungspolitik, Baugestaltung und Siedlungsplanung, Hamburg 1986.
  6. Zur NS-Wohnungspolitik siehe Ute Peltz-Dreckmann: Nationalsozialistischer Siedlungsbau. Versuch einer Analyse der die Siedlungspolitik bestimmenden Faktoren am Beispiel des Nationalsozialismus, München 1978; Joachim Petsch: Baukunst und Stadtplanung im Dritten Reich. Herleitung, Bestandsaufnahme, Entwicklung, Nachfolge, München/ Wien 1976; Marie-Luise Recker: Nationalsozialistische Sozialpolitik im Zweiten Weltkrieg, München 1985.
  7. Günther Schulz: Wiederaufbau in Deutschland. Die Wohnungsbaupolitik in den Westzonen und der Bundesrepublik Deutschland von 1945 bis 1957, Düsseldorf 1994, S. 31– 45, insbes. S. 40 (dort erfasst als „Normalwohnungen“).
  8. Ebd., S. 240.
  9. Siehe Klaus von Beyme: Der Wiederaufbau. Architektur und Städtebaupolitik in beiden deutschen Staaten, München 1987.
  10. Peter-Christian Witt: Inflation, Wohnungszwangswirtschaft und Hauszinssteuer. Zur Regelung von Wohnungsbau und Wohnungsmarkt in der Weimarer Republik, in: Lutz Niethammer (Hrsg.): Wohnen im Wandel. Beiträge zur Geschichte des Alltags in der bürgerlichen Gesellschaft, Wuppertal 1979, S. 385 – 407, hier S. 400.
  11. Siehe Peter Kamper: Neue Heimat. Unternehmenspolitik und Unternehmensentwicklung im gewerkschaftlichen Wohnungsund Städtebau 1950 –1982, Stuttgart 2008.
  12. Siehe Johannes Göderitz/ Roland Rainer/ Hubert Hoffmann: Die gegliederte und aufgelockerte Stadt, Tübingen 1957.
  13. Siehe Übersicht Tabelle 2, x0876; ferner Helmut W. Jenkis: Einführung in die Wohnungswirtschaftspolitik, in: Ders. (Hrsg.): Kompendium der Wohnungswirtschaft, 4. Aufl., München/Wien 2001, S. 65 –122, hier S. 74, 79.
  14. Ebd., S. 82.
  15. Beispielsweise als Herausgeber: Statistisches Bundesamt: Bevölkerung und Wirtschaft 1872 –1972, Stuttgart/Mainz 1972. Es gibt zudem die Erhebungen des Mikrozensus heraus, bspw. Fachserie 5/Heft 1: Bautätigkeit und Wohnungen. Mikrozensus-Zusatzerhebung 2010. Bestand und Struktur der Wohneinheiten. Wohnsituation der Haushalte, Wiesbaden 2012. Ferner seien als Beispiele genannt: Statistisches Bundesamt Wiesbaden (Hrsg.): Gebäude und Wohnungen. Bestand an Wohnungen und Wohngebäuden; Abgang von Wohnungen und Wohngebäuden. 2008, Wiesbaden 2009; Lange Reihen ab 1969 – 2008, Publikation unter: www.destatis.de (24.8.2009). Siehe Jürgen Sensch: (1974 – 2007) histat-Datenkompilation online: Bautätigkeit und Wohnungen in der Bundesrepublik Deutschland 1950 – 2005. GESIS, Köln 2010, Deutschland ZA8398 Datenfile Version 1.0.0. sowie Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Gebäude und Wohnungen. Bestand an Wohnungen und Wohngebäuden. Bauabgang von Wohnungen und Wohngebäuden. Lange Reihen ab 1969 – 2013, Wiesbaden 2014, URL: www.destatis.de/DE/ Publikationen/Thematisch/Bauen/Wohnsituation/FortschreibungWohnungsbestandPDF_5312301.pdf?blob=publicationFile (21.4. 2015).
  16. Ab 4 /2008 sind die Ausgaben als PDF auf der Internetseite des Bundesbaublatts verfügbar: www.bundesbaublatt.de/archiv_ index_1354.html (21.4. 2015).
  17. 1949 wurde die Zeitschrift vom Statistischen Amt des Vereinigten Wirtschaftsgebiets herausgegeben. Die Zeitschrift erscheint zweimal im Monat, ab 2001 können die Bände online heruntergeladen werden: www.destatis.de/DE/Publikationen/WirtschaftStatistik/Archiv/ WirtschaftStatistikArchiv.html (21.4. 2015).
  18. 1979ff., Bonn/ Berlin 1980ff., sie können ab 2003 online heruntergeladen werden: www.lbs.de/service/s/broschueren_5/index.jsp (21.4. 2015).
  19. Geschäftsstelle Öffentliche Bausparkassen: Jahresberichte 1952 –1978, Bonn 1953 –1979; Fortsetzung: Jahresberichte der Bundesgeschäftsstelle der Landesbausparkassen.
  20. 20 Hauptverband der Deutschen Bauindustrie: Baustatistisches Jahrbuch, Frankfurt a. M. 1960ff.
  21. Zentralverband Deutsches Baugewerbe: Baumarkt: Ergebnisse, Entwicklungen, Tendenzen, Berlin 2000ff.
  22. Die Erläuterungsseite von Eurostat gibt Hinweise zur Baugewerbestatistik: http://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php/ Industry_and_construction_statistics_-_short-term_indicators/ de#Weitere_Informationen_von_Eurostat (21.4. 2015).